Das Portrait: Dank Rücktritt im Aufwind
Marianne Birthhler
Jetzt tritt die Zurückgetretene wieder an. Im Oktober kommenden Jahres übernimmt Marianne Birthler die Leitung der Gauck-Behörde. Für diesen Job qualifiziert die ehemalige Bürgerrechtlerin manches, vor allem aber ein Rücktritt, der mittlerweile sieben Jahre zurückliegt. 1992 quittierte Birthler ihren Dienst als brandenburgische Bildungsministerin, weil sie im Streit um die Stasi-Kontakte ihres Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) dessen „Ausflüchte und zweifelhafte Erklärungsmuster“ nicht länger mittragen wollte.
Die Entscheidung von damals ist für viele Weggefährten der Schlüssel zu Birthlers Persönlichkeit. Die einen werteten den Rücktritt als Ausdruck besonderer Integrität, die anderen sahen darin einen moralischen Rigorismus, der an Verantwortungslosigkeit grenzt. Ihr bündnisgrüner Ministerkollege Matthias Platzeck beschritt den entgegengesetzten Weg: Er trat in die SPD ein und stieg zu Stolpes Kronprinzen auf.
Birthler hingegen hat seither kein Parlamentsmandat oder Regierungsamt mehr erlangen können. 1993 wurde sie noch zur Bundesvorstandssprecherin ihrer Partei gewählt, doch nach den Wahlniederlagen des folgenden Jahres konnten die östlichen Landesverbände keinen Spitzenposten mehr beanspruchen. Bis zum Regierungsumzug leitete Birthler das Berliner Büro der Bundestagsfraktion. Seither kümmert sie sich um die Fortbildung der MdBs.
1994 scheiterte ihre eigene Bundestagskandidatur an den Brandenburger Wählern, 1998 an der Berliner Parteibasis. Birthlers Abneigung gegen programmatische Reden wurde ihr zum Verhängnis. Die Parteifreunde verstanden nicht mehr, wofür die prinzipientreue Politikerin eigentlich stand, die ihre Entscheidungen immer von konkreten Situationen abhängig machte – so auch einst im Brandenburger Bildungsministerium, als sie Modelle abseits des eingefahrenen westdeutschen Schulsystems erprobte.
In den Bildungsbereich könnte Birthler auf ihrem neuen Posten zurückkehren. Schließlich hat Joachim Gauck seine Mission als Sachwalter der reinen Stasi-Aufarbeitung erfüllt. Hielte die Bündnisgrüne daran fest, bliebe ihr nicht viel mehr als Abwicklung. Doch alle Zeichen deuten darauf hin, dass Birthler eine Schnittstelle für den Dialog zwischen Ost und West im Sinn hat – ein lebendiges Gegenmodell zur Bundeszentrale für politische Bildung, wo Birthler im Vorjahr für einen Versorgungsposten im Gespräch war.
Ralph Bollmann
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