piwik no script img

Das PortraitCharlie Brown sagt adieu

Das ist zum Heulen. 50 Jahre lang konnte man so mitleidig wie schadenfroh über Charlie Brown lachen, den beliebtesten aller Peanuts-Helden und -Heldinnen, den ewigen Verlierer, der seit fünf Jahrzehnten unglücklich in „das kleine rothaarige Mädchen“ verliebt ist. Man hat den „extrovertierten Beagle“ Snoopy geliebt, der in Comicblasen denkt, von einer Karriere als Autor träumt und manchmal an einer Schreibmaschine Romane verfasst. Ihn lässt der schwer krebskranke 77-jährige Vater der Peanuts, Charles M. Schulz, den Abschiedsbrief an alle 350 Millionen LeserInnen weltweit verfassen. „Ich hatte Glück, dass ich Charlie Brown und seine Freunde fast 50 Jahre lang gezeichnet habe. Es war die Erfüllung meines Kindheitstraums“, steht auf einem in Snoopys Schreibmaschine eingespannten Blatt Papier in der letzten, gestern erschienenen Folge.

Wer bloß soll das Loch in unser aller Herzen ausfüllen? Die Simpsons vielleicht? Viel zu kaltschnäuzig. Nie war Bart so rührend verliebt wie Lucy in Schröder, wie Peppermint Patty, die heimliche Heldin, in Charlie Brown, wie Charlie Brown in das kleine rothaarige Mädchen. Wegen dem hat ja übrigens alles angefangen, als der Kunststudent Charles M. Schulz erfolglos um die Hand eines gar nicht mehr so kleinen rothaarigen Mädchens anhielt. Schulz kompensierte den Liebeskummer mit dem ersten Peanuts-Comic am 2. 10. 1950, in dem der rundköpfige Charlie Brown von zwei noch undefinierten Kindern (Patty und Linus?) zu hören bekommt.

Überhaupt, Peppermint Patty, neben der lauten Besserwisserin Lucy eine der präfeministischsten Heldinnenfiguren der amerikanischen Geschichte, nach der die Nasa zwar keine Apollo-10-Rakete benannt hat (wie nach Charlie Brown), aber trotzdem: Sie ist die einzige mit zumindest bruchstückhaftem Baseballwissen, und sie ist trotz ihrer Naivität (sie hat lange Zeit nicht gemerkt, dass „the funny-looking kid, who plays shortstop“ ein Hund ist) eine undurchschaubare Person.

Oder warum schläft sie in der Schule immer ein? Hat sie keine Eltern? Erwachsene kommen ja ohnehin nicht vor in der Peanuts-Welt, sind natürlich auch gar nicht nötig – denn die Kids sind weise genug. Sie stehen zu ihren Leidenschaften so offen, wie es jeder Erwachsene gern tun würde, sei es zu Beethoven (der Pianist Schröder), zu Drachenfliegen (wobei Charlie Browns Drache jedes Mal im Baum landet) oder zur Schmusedecke (Linus). Die heißt im US-Original übrigens „security blanket“, Sicherheitsdecke, und hat Einzug ins Wörterbuch gefunden. Jenni Zylka

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen