Das Porträt: "Mama"-Rapper
■ Hendrik Nilolaus Simon (Heintje)
Die Zeiten standen im Zeichen der Studentenbewegung, die Wirtschaftswunderrepublik ängstigte sich ob der „Gammler, Pinscher und Uhus“ (so der einstige Bundeskanzler Ludwig Erhard), die sich der Öffentlichkeit bemächtigten. Da beschenkte der Bremer Sänger Wolfgang Roloff, der als „Ronny“ Schlager für Vertriebene und Seefahrtsüchtige veröffentlichte, die Republik mit einem ideologischen Gegenangebot: Heintje.
Am 28. April 1968 kletterte sein berühmtestes Lied auf Platz 1 der Popcharts: „Mama“ hieß das Produkt. Mit glockenheller, metallisch scharfer Stimme trällerte er so gezielt in die Gemüter einer irritierten Republik, daß selbst die FAZ vor dem Erfolgskind kapitulierte: „Seine Lieder sind von ausgesuchter Geschmacklosigkeit, aber er hat Sinn für Wirkung.“ Den hatte der damals 12jährige in seiner holländischen Heimat unter den Fittichen des Bierzeltpromoters Addy Kleyngeld gelernt.
„Mama – du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen“ – das war die Hoffnungszeile aller, denen schon der Rock 'n' Roll Mitte der fünfziger Jahre zu schaffen gemacht hatte. Nach seinem ersten Hit mutierte Heintje mit weiteren Attentaten auf selbst sehr tolerante Schlagernerven zum erfolgreichsten Schlagersänger.
Heintje, 1972 Foto: Sat.1
Dann bestrafte ihn die Natur: Nach dem Stimmbruch gelang ihm ab 1972 kein Hit mehr. Trotzdem tingelte er weiter, immer im Anzug, stets gescheitelt und mit einem ganz persönlichen Lächeln fürs Publikum – auch 1994 waren es noch 43 Auftritte. Er muß immer wieder „Mama“, „Heidschibumbeidschi“ und „Ich sing ein Lied für dich“ bringen. Hendrik Nikolaus Simon (so sein richtiger Name) weiß um die Sehnsüchte seiner Kunden: „Man darf immer noch Heintje zu mir sagen.“
Der Spuk namens Heintje war auch nach 1972 nicht vorüber. Einige Lieder, vor der Pubertät eingespielt, wurden noch auf den Markt geworfen, immer erfolgreich, fast immer mit einer Goldenen Schallplatte gekrönt. 40 Millionen Mark hat der heute in Belgien auf seinem Pferdehof wohnende Mann verdient. „Ich kann von ,Mama‘ leben“, sagt er noch heute.
Völlig ohne Ehrgeiz – Inhaber eines Modelabels und einer Boutique – und gewissen Neigungen zum Spaß ist er dennoch nicht: Kürzlich ließ er Technoversionen seines „Mama“-Liedes einspielen. „Das spricht eine andere Käuferschicht an“, sagt er, „und wenn ich damit ein wenig Geld verdiene, ist es auch in Ordnung.“ Jan Feddersen
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