: Das Pogrom, die Vietnamesen und die Stadt
Vor einem Jahr begannen die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Rostock- Lichtenhagen. Wolfgang Richter, schon damals Ausländerbeauftragter der Stadt und mit den Vietnamesen im brennenden Haus eingeschlossen, schildert, wer aus den Ereignissen gelernt hat und wer nicht.
taz: Herr Richter, unmittelbar nach den Pogromen hat die taz Sie gefragt, ob Sie ans Aufhören denken. Ein Jahr später sind Sie immer noch Ausländerbeauftragter der Stadt Rostock. Obwohl dazwischen die Peinlichkeiten des Lothar Kupfer, der seinen Ministersessel nicht räumen wollte, und der folgenlos gebliebene parlamentarische Untersuchungsausschuß in Schwerin liegen. All das muß doch gerade für Sie frustrierend gewesen sein.
Wolfgang Richter: Es waren noch andere Dinge frustrierend, aber ans Aufhören habe ich nicht gedacht. Im Gegenteil, es hat mich erst recht bestärkt, weiterzumachen, da wir hier auch eine ganze Menge Zuspruch und Unterstützung spüren.
Zuspruch auch von den Politikern? Haben Sie den Eindruck, da ist ein Lernprozeß in Gang gekommen?
Pauschal läßt sich das nicht sagen. Aber nehmen wir die neue Außenstelle für Asylbewerber hier in Hinrichshagen. Da hat es durchaus auch kritische Situationen der Überfüllung gegeben. Und diesmal hat das Innenministerium sehr schnell reagiert und Abhilfe geschaffen. Oder das Bleiberecht für Vietnamesen: Nach anfänglich drastischen Konfrontationen mit dem Innenministerium ist die Zusammenarbeit seit Januar gut.
Mit dem Aufenthaltsrecht für Vietnamesen gibt es keine Probleme mehr?
Das Bleiben ist an bestimmte Kriterien gebunden. Vor allem müssen sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten. Wir bemühen uns, das mit Hilfe des Arbeitsamtes für möglichst viele Vietnamesen zu erreichen. Es gibt auch den politischen Rückhalt hier im Senat dafür, weil ja auch die große Mehrheit aller Fraktionen in der Bürgerschaft für ein solches Bleiberecht eingetreten ist.
Man hat also eingesehen, daß man ihnen Arbeitsmöglichkeiten geben muß, wenn man nicht will, daß sie mit Zigarettenverkaufen ihren Lebensunterhalt verdienen.
Auf jeden Fall. Aber in Rostock ist auch die übergroße Mehrheit der Vertragsarbeitnehmer nicht in den Zigarettenhandel verstrickt, allerdings ist eine Menge von vietnamesischen Asylbewerbern, die sowieso nicht unter dieses Bleiberecht fallen können, im Zigarettenhandel engagiert. Das ist uns schon ein arger Dorn im Auge, weil damit die vielfach sehr gute Meinung, die es hier in der Stadt über Vietnamesen gibt, beeinträchtigt wird. Das ist auch für den großen Teil der Vietnamesen hier eine sehr unliebsame Geschichte.
Und was kann man für die Asylbewerber tun?
Das ist ganz schwierig. Man kann ihnen ja nicht die Hoffnung machen, daß sie eine Chance für den Aufenthalt haben, wenn sie den Zigarettenhandel lassen. Es kommt eben dazu, daß genug Deutsche da sind, die diese Zigaretten kaufen.
Vor einem Jahr gab es rund 2.000 Ausländer in Rostock. Nach den Pogromen dachten nicht wenige daran wegzuziehen.
Heute leben noch genauso viele in der Stadt. Mir ist kein einziger Fall bekannt, daß jemand deswegen weggezogen wäre. Verschiedene Vietnamesen hatten von ihren Firmen Angebote, sich in Zweigstellen im Westen versetzen zu lassen, und haben gesagt: Nein, wir wollen hier in Rostock leben. Allerdings ist nach den Morden von Mölln, Solingen und den anderen Brandanschlägen das subjektive Unsicherheitsgefühl der ausländischen Bürger viel größer geworden, als es damals nach Lichtenhagen war.
Die eine erschreckende Beobachtung war damals: Der Rechtsstaat macht Pause. Die andere hieß: Der Mob klatscht. Haben Sie den Eindruck, daß sich da auch in der deutschen Bevölkerung von Rostock etwas verändert hat?
Das Bild ist so differenziert wie in anderen deutschen Städten auch. Es gibt Leute, die schon vor diesem August für ein bewußtes Zusammenleben eingetreten sind; dann gibt es solche , die sagen, sie haben aus diesen Ereignissen gelernt, das war so schlimm, daß wir – selbst wenn wir unterschiedlicher Meinung sind – dafür sorgen müssen, daß so etwas nicht wieder passiert. Und Sie finden Leute, die sagen: Es ist jetzt genug von Lichtenhagen geredet worden, wir wollen das nicht mehr hören – Leute, die das wegschieben und verdrängen. Schließlich finden Sie in dieser Stadt natürlich auch Bürger, die sagen: Wenn die Situation noch mal so ist, dann muß genau dasselbe wieder passieren, das war richtig damals. Aber damit unterscheidet sich Rostock nicht von anderen Städten in diesem Land.
Wir haben ja mittlerweile Mölln und Solingen und viele andere Brandanschläge im Westen gehabt. Dennoch: Meinen Sie, im Westen kann es auch zu diesem offenen Beifallklatschen kommen?
Ich bin zu vielen Gesprächen in Städten der alten Bundesrepublik gewesen. Da haben eine Menge Leute mir gesagt: Wenn die Situation bei uns so gewesen wäre wie in Rostock, würden wir nicht die Hand dafür ins Feuer legen, daß nicht auch das gleiche passiert wäre. Ich denke aber, eine solche Situation kann in den alten Bundesländern einfach nicht entstehen, weil die Behörden anders reagieren würden. Die Zustände waren ja tatsächlich haltlos: für die Asylbewerber, für die Vietnamesen nebenan und eben auch für die deutschen Anwohner. Vielfach hatten die ja versucht, mit dem demokratischen Instrumentarium wie Eingaben, Beschwerden und anderem Veränderungen zu erreichen. Es tat sich eben nichts. Eine Situation, wo sich vieles dort hochgeputscht hat.
Was ist mit den Jugendlichen, die das Asylbewerberheim belagert und schließlich in Brand gesetzt haben? Was hat die Stadt für die Jugend getan?
Sicher nicht genug. Aber man hat sich massiv bemüht, Jugendclubs zu erhalten, in Lichtenhagen ist mit dem „Nordlicht“ einer dazugekommen. Weil die finanzielle Lage der Stadt so prekär ist, daß sogar die Gehälter mal nicht gezahlt werden konnten, wird überall gestrichen, aber im Jugendbereich nicht.
Das explosive Gemisch kommt ja dann zustande, wenn eine rechtsradikale Szene gelangweilte und frustrierte Jugendliche steuert. Wie hat sich in Rostock die organisierte rechte Szene entwickelt?
Sie ist nach wie vor außerordentlich klein, deutlich unter hundert. Es hat Aktionen und Werbeversuche der FAP gegeben, auch die Hamburger Liste „Ausländerstopp“ versucht, sich für die nächsten Kommunalwahlen in Rostock zu etablieren.
Zum Schluß würde ich gern wissen, ob Sie noch einmal persönlichen Kontakt mit Ihrem Widersacher Lothar Kupfer gehabt haben?
Anfang Januar '93, da war Kupfer noch im Amt, hatten wir Ausländerbeauftragte einen Termin mit ihm. Und während Kupfer ja noch im Dezember gesagt hatte, Mecklenburg trete nicht für ein Bleiberecht der Vietnamesen ein, denn dafür gebe es keine Akzeptanz in der Bevölkerung, zeigte er da einen ganz erstaunlichen Sinneswandel und kündigte an, daß er unsere Kriterien logisch fände und sie auch in der Stellungnahme Mecklenburgs an das Bundesinnenministerium übernommen habe. Da hat einer, der als uneinsichtig, hart und wenig verständnisvoll galt, unsere Argumente aufgenommen. Interview: Michael Rediske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen