: Das Paradies von Algier
Nachtleben im Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Militärs ■ Aus Algier Kadir Bouabied
Während ich in dem Taxi sitze, schlägt mein Herz schneller. Es ist nicht die Schönheit meiner Begleiterin, die meinen Puls beschleunigt, sondern pure Angst. Hassiba hat mich zu einem Vergnügen eingeladen, daß in Algerien leicht tödlich enden kann. Wir wollen den Abend in einem Club verbringen, bei Wein, Musik und Tanz – Genüsse, die nach Interpretation militanter Islamisten todeswürdige Verbrechen sind.
„Scheißegal, sollen die Abu Lehia uns doch töten!“ wischt Hassiba meine Bedenken beiseite, während der Wagen durch menschenleere und finstere Straßen Algiers rollt. „Abu Lehia“, frei übersetzt bedeutet das „Bartträger“. In Algerien sind damit militante Islamisten gemeint, die Jagd auf Repräsentanten des Staates machen und auf alle, die gegen islamische Regeln verstoßen. Ganz oben auf ihren schwarzen Listen stehen Frauen wie Hassiba: Sie ist selbstbewußt, weigert sich, ihre Haare zu bedecken, und ihr Rock und ihre Bluse genügen den Bekleidungsvorschriften der Islamisten in keiner Weise.
„Laß uns die schreckliche Lage wenigstens für einen Abend vergessen“, bittet Hassiba. Trotz der Bedrohung sei sie oft nachts unterwegs, zum Tanzen, Feiern und Trinken: „Wenn ich danach die Morgendämmerung sehe, ist das so, als hätte ich vorübergehend ein anderes Leben geführt.“ Nach zwanzig Minuten Fahrt haben wir unser Ziel erreicht. „Riad al-Fath“ steht auf dem Gebäude, eine der zahlreichen arabischen Bezeichnungen, für „Paradies“. Vor dem Portal stehen Autos: einige Luxuskarossen, aber auch Mittelklassewagen. „Der Ort ist fast so gut bewacht, wie der Präsidentenpalast“, beruhigt mich meine Begleiterin.
Im Inneren des Lokals singt eine Frau arabische Lieder. „Wir sind spät dran“, erklärt mir Hassiba. Wegen des Bürgerkriegs gilt in Algerien ab 23.30 Uhr Ausgangssperre. Wer am Nachtleben teilnimmt, muß entscheiden, ob er vorher geht oder bis fünf Uhr früh durchhält. In der Mitte des Raumes sitzen Paare, in zwei Ecken hocken alleinstehende Frauen und Männer nach Geschlechtern getrennt. Trotz der Distanz haben sie sich eine Menge mitzuteilen: Es wird gelächelt, gezwinkert und zugeprostet. Treffpunkt ist die Tanzfläche, und nicht selten kehren die Tanzpartner anschließend nicht in ihre Ecke zurück, sondern teilen sich einen Tisch in der Mitte.
Die Sängerin singt ein Lied über ein Liebespaar, das viele Hindernisse zu bewältigen hat. Natürlich endet die Geschichte glücklich. Niemand in dem Lokal würde jetzt ein trauriges Lied hören wollen. Etlichen derer, die sich auf der Tanzfläche zu der Musik bewegen, ist anzumerken, daß sie reichlich Alkohol im Blut haben. Vor der Bühne der Sängerin steht ein silberner Champagnerkübel, und als die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht, steckt einer der Tanzenden ein ganzes Bündel von 200-Dinar-Scheinen hinein. „Der ist ein Tarabandist“, meint Hassiba abfällig. „Tarabandisi“ werden in Algerien jene Menschen genannt, die ihr Geld auf dem Schwarzmarkt verdienen. Zu ihnen gehören Leute, die in Betrieben und Geschäften Waren abzweigen und im Ausland verscherbeln und natürlich die Rauschgifthändler. Nicht selten ist auch die Rede von „tarabandistischen“ Politikern.
„1.000 Dinar für ein Lied für die Chaweyeh!“ schreit ein wohlgenährter Mittvierziger, der sich das Mikrofon von der Sängerin geschnappt hat. Kaum hat sie die ersten Töne angestimmt, entreißt ihr ein anderer das Mikrofon und brüllt: „1.200 Dinar für ein Lied für Blida.“ So entbrennt ein Wettstreit zwischen den aus verschiedenen Landesteilen stammenden Gästen. Die Sängerin ermutigt sie, bis der Sektkübel randvoll mit Geldscheinen ist. „Man muß das Leben genießen, auch wenn es lebensgefährlich ist“, sagt lachend der Gewinner, den sein Sieg einige tausend Dinar gekostet hat. Er scheint es sich leisten zu können.
Auf einmal herrscht Ruhe in dem Saal. Die Sängerin ist verstummt und ein Raunen geht durch die Menge. Eine Gruppe junger Männer hat das Restaurant betreten. Einige von ihnen tragen Sonnenbrillen, einer hat ein Walkytalky in der Hand. „Begrüßt unsere Sicherheitsleute, die Helden, ohne die wir diesen Abend nicht feiern könnten“, durchbricht jener, der gerade das meiste Geld ausgegeben hat, die Stille. Es folgt verhaltener Applaus. „Ein Lied für diese Männer!“ befiehlt er der Sängerin. „Algerien ist uns das Wichtigste ...“, stimmt die unsicher an, aber nur wenige machen Anstalten, dazu zu tanzen. „Alle Algerier stehen hinter dem Präsidenten Liamine Zeroual“, brüllt der „Sieger“. „Unsere Helden in der Armee werden die Terroristen ausrotten!“
Die meisten Gesichter der Gäste bleiben versteinert. „Ich kann mich hierher vor den Bärtigen flüchten“, flüstert Hassiba, „aber wo soll ich mich vor Leuten wie dem da in Sicherheit bringen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen