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„Das Opfer bleibt im Hintergrund“

■ Der Kriminologe Christian Pfeiffer empfiehlt amerikanische Bekämpfungsmethoden

taz: Warum wenden sich die Opfer von Schutzgelderpressern nicht an die Polizei?

Christian Pfeiffer: Weil sie Angst haben, daß sie als Zeuge vor Gericht stehen müssen und dann die Drohungen der Erpresserbanden wahr gemacht werden.

Die Polizei sagt, sie sichert den Opfern Vertraulichkeit zu, „wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen“. Was sind das für Voraussetzungen?

Die Polizei wird versuchen, den angezeigten Fall zum Anlaß für weitere Ermittlungen zu nehmen. Wird der Täter dann durch weitere Ermittlungserfolge überführt, kann sie auf einen Auftritt des Anzeigenerstatters vor Gericht verzichten, muß dies aber nicht. Sie wird den Anzeigenerstatter aber jedenfalls dann vorladen lassen, wenn er der einzige Zeuge bleibt.

Absolute Vertraulichkeit kann die Polizei also gar nicht garantieren?

Nein, dies verhindert das deutsche Legalitätsprinzip. Wenn der Polizei ein Verbrechen bekannt wird, dann muß sie dieses auch verfolgen.

Das ist, schaut man nach Amerika, nicht zwangsläufig so. Was ist in Amerika anders?

Dort gilt sogar im Bereich der schweren Kriminalität ein begrenztes Opportunitätsprinzip. Das heißt: Die Polizei muß zwar gegen den Beschuldigten Ermittlungen einleiten, kann und wird jedoch aus Gründen des Zeugenschutzes von vornherein darauf verzichten, der Staatsanwaltschaft eine Mitteilung über den Ausgangsfall zu machen.

Was würde sich ändern, wenn der Gesetzgeber Ihren Vorschlag aufgreift?

Die Anzeigebereitschaft würde sich vervielfachen. Denn nun könnte die Polizei wirklich Vertraulichkeit garantieren. Das Opfer hat die Sicherheit, daß es im Hintergrund bleibt – unabhängig vom weiteren Verlauf der Ermittlungen.

Es gibt auch undichte Stellen im Polizeiapparat ...

Natürlich, ein gewisses Restrisiko bleibt bestehen. Aber es ist nicht angenehm, erpreßt zu werden. Der polizeiliche Umgang mit den Opfern muß so gestaltet werden, daß es attraktiver ist, eine Erpressung anzuzeigen als zu zahlen.

Besteht nicht die Gefahr falscher Anschuldigungen, wenn der Anzeigende nie öffentlich in Erscheinung tritt?

Eine so schwerwiegende Anzeige muß natürlich geprüft werden. Wenn sich herausstellt, daß die Geschichte von vorn bis hinten erlogen ist, hat es mit dem Schutz des „Opfers“ schnell ein Ende. Dann hat sich der Anzeigende selbst strafbar gemacht.

Wenn alle Opfer im Hintergrund bleiben können und nicht vor Gericht erscheinen müssen, wie soll es dann je zur Verurteilung von Schutzgelderpressern kommen?

Schon jetzt kann die Polizei eigene Beobachtungen machen, Zeugen befragen, Telefone abhören und verdeckte Ermittler einsetzen. Das reicht aber nicht aus. Die Polizei braucht zusätzliche Möglichkeiten: Erstens Bodymikrophone, die verdeckte Ermittler am Leib tragen, zweitens muß es Verdeckte Ermittler geben, die aus dem selben ethnischen Hintergrund wie die Tatverdächtigen stammen und schließlich braucht die Polizei den großen Lauschangriff, die Abhörbefugnis für Pkw, Geschäftsräume und notfalls auch Wohnungen. Die Erfahrungen der USA zeigen, daß auf diesem Wege gute Erfolge erzielt werden können.

Muß es denn schon wieder das Kanthersche Horror-Instrumentarium sein?

Diesmal im Prinzip ja, natürlich nur in engen rechtstaatlichen Grenzen. Vorrangige Alternativen wie bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität – etwa Methadonprogramme und ähnliches – sehe ich beim Thema Schutzgeld leider nicht. Hier brauchen wir die Polizei, um den bedrohten Menschen wirkungsvoll zu helfen. Interview: Christian Rath

Professor Christian Pfeiffer leitet das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover. Er hat sich bereits mehrfach für die Einführung des Großen Lauschangriffs ausgesprochen.

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