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■ Das Niedersachsen-Ergebnis: Kein schlechtes OmenAm Ende ein Anfang

Das rot-grüne Bündnis in Niedersachsen ist an den Tücken des Wahlrechts, nicht an mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz gescheitert. Die Koalition konnte ihre bisherige Mehrheit ausbauen – ein Novum in der kurzen Geschichte rot-grüner Zusammenarbeit. Sowohl in Berlin wie in Hessen folgte dem Experiment bislang noch immer die Bestrafung durch die WählerInnen. Gemessen daran erscheint es eher wie eine etwas sperrige Fußnote, daß die FDP ihre traditionelle Funktion als Mehrheitsbeschafferin diesmal etwas anders erfüllte. Sie verschaffte Gerhard Schröder den Ein-Stimmen-Vorsprung, mit dem er die Grünen in die Opposition schickt. Den Abgeschobenen bleibt vorerst nur die kleine Schadenfreude, daß künftig jeder einzelne SPD-Abgeordnete im Konfliktfall das Gewicht eines Koalitionspartners einbringt. Das wird Schröders autoritäre Neigung fördern, ihm aber das Regieren nicht unbedingt erleichtern.

Es mag paradox klingen, daß die grünen Stimmen- Gewinner die Macht verlieren, während Schröder mit marginalem Zuwachs künftig alleine regieren kann. Doch das Paradox ließe sich auch als nicht ganz zufällige Konsequenz einer Koalition interpretieren, in der eine ständig protestierende grüne Partei so ziemlich alles schlucken mußte, was ihr der Autokrat aus Hannover zumutete. Mit allzu großen Erwartungen gestartet, schien es am Ende, als wollten sich die Grünen allein schon mit der bloßen Suggestion der Machtteilhabe abfinden. Ihre wachsende Frustration am Regieren arbeiteten sie statt dessen an der eigenen Frauenministerin ab. Jürgen Trittin hingegen, der andere, in eine Männerfreundschaft mit Schröder eingebundene Grünen-Minister, kam trotz verbaler Attacken nie wirklich über die Rolle des zahmen Juniors hinaus.

Die grüne Zurückhaltung in der jetzt abgelaufenen Koalition scheint sich auch in der Ergebnisanalyse bruchlos fortsetzen zu wollen. Von den niedersächsischen Grünen bis hin zum Bundesvorstand beten alle die gewaltigen Stimmengewinne gesund. Doch eine Partei, die den Sprung von 5,6 auf 7,2 Prozent als tollen Erfolg verkauft, signalisiert damit nur, daß es auf sie nie wirklich ankommen wird. Es ist die alte Orientierung an der Fünfprozentmarke, mit der die Grünen auch jetzt wieder demonstrieren, daß sie sich mehr als die parlamentarische Randrolle noch immer nicht zutrauen. Doch solange die Grünen auch weiterhin nur ökologisches Korrektiv spielen wollen, werden sie am Ende nicht einmal korrigieren, geschweige denn mitgestalten können. Wie phantasielos ist eigentlich eine grüne Partei geworden, die sich schönredend damit abfindet, daß sie das gesellschaftliche Potential für eine bürgerrechtlich-ökologische Reformpolitik gerade mal im Ansatz auszuschöpfen vermag? Sich weiter kindlich an der bloßen parlamentarischen Fortexistenz zu freuen ist nichts anderes als die aktuelle Form grüner Borniertheit.

Doch die kleingläubige Zurückhaltung korreliert bestens mit dem fortdauernden Hang zur radikalen Illusion, wie sie zuletzt auf dem Mannheimer Parteitag in Sachen Außenpolitik zelebriert wurde. Bescheidenheit bezüglich des realistischen reformpolitischen Anspruchs und kindisches Unmaß bei den Rezepten für die Weltpolitik – aus solchen Ingredienzen mischt sich derzeit das grüne Dilemma. Es läßt die lauthals beschworene Lust auf die Bonner Regierungsbeteiligung am Ende dieses Jahres weiterhin ziemlich hohl erscheinen.

Das paßt deshalb nicht sonderlich gut in die politische Landschaft, weil mit der Niedersachsen-Wahl gleich mehrere eherne Gesetze zu Bruch gegangen sind. Nicht nur konnte eine rot-grüne Koalition erstmals Stimmengewinne verbuchen, während die Konservativen auf Tiefstand und ihr potentieller Koalitionspartner gleich vollends ins Aus rutschten. Auch die fixe Erwartung, ein rot-grünes Reformbündnis stimuliere zwangsläufig den Zulauf am rechten Rand, hat sich in Niedersachsen nicht bestätigt. Darin, nicht in ihren programmierten Stimmenverlusten, liegt die Brisanz des Wahlausganges für die Union. Rot-Grün war in Niedersachsen kein Angstmacher. Schwerer als erwartet könnte es deshalb den Konservativen fallen, mit der Angstmache vor Rot-Grün einen erfolgreichen Dauerwahlkampf zu bestreiten.

Die Aversion gegen die Koalition mit den Grünen müßte seit dem Sonntagabend auch bei Rudolf Scharping ein wenig geschwunden sein. Die Sozialdemokraten haben das Experiment ja prima überstanden. Zudem wird das demonstrative Selbstbewußtsein des SPD-Herausforderers angesichts der Tatsache eher noch wachsen, daß Schröder in Niedersachsen genau mit der Prioritätensetzung gewann, mit der auch Scharping im Herbst die Regierungskoalition ablösen will. Die eigene sozialdemokratische Mehrheit in Bonn bleibt zwar auch nach Schröders Erfolg die pure Illusion. Doch einen rot-grünen Reformwahlkampf wird Scharping auch weiter nicht führen.

Das Werben für einen sozial-ökologischen Politikwechsel in Bonn bleibt die Sache der Grünen. Dafür müßten sie endlich demonstrieren, daß sie im Herbst nicht den angestammten Platz im Sieben-Prozent-Reservat anstreben. Doch ein Ergebnis, das es der SPD maximal erschwert, sich in die große Tristesse mit der Union zu flüchten, bleibt so lange unwahrscheinlich, wie die Grünen weiterhin ihren oppositionellen Minderwertigkeitskomplex mit radikalen Symbolen zu kaschieren suchen. Mit ihrem Angebot verhandelbarer Utopien bleibt die Partei weiter an ihre angestammte Klientel gefesselt. Der Rest wartet auf ein kluges, kompetentes, machbares Regierungsprogramm (ohne eingebautes Sicherheitsrisiko). Und auf das Selbstbewußtsein, mit dem die Grünen der Republik ihre Reformalternativen einbleuen. Matthias Geis

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