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Archiv-Artikel

Das Leben rauscht vorüber

Du sollst dir kein Bildnis machen: Die Reihe „Obsession Fotograf“ im B-Movie zeigt im Februar anhand von fünf Beispielen aus der Filmgeschichte die Abgründe zwischen Sehen und Handeln

von JAKOB HESLER

Fotografen sind Fetischisten der Wirklichkeit. Sie glauben, am Abglanz hätten sie das Leben. In Wahrheit verstecken sie sich hinter ihren Suchern, und das Leben rauscht an ihnen vorüber. Dieses Dilemma hat sich mit dem Medienzeitalter keineswegs erledigt. Auch noch bei den abstraktesten Fashion-Arrangements des Fotografen Thomas in Michelangelo Antonionis Blow Up (1966) zählt vor allem eines: das Lächeln der Models, das bei aller Inszeniertheit ein natürliches, echtes, lebendiges sein soll. Doch leider wird es gerade deshalb austauschbar. Thomas hängen die „Puppen“ zum Hals heraus.

Bei Thomas (David Hemmings) hat sich der Fetischismus zu größenwahnsinnigem, eiskaltem Sadismus aufgebläht. Er unterwirft die Welt seiner Kamera. Ob Modestrecken oder Elendsreportagen, auf Hochglanz sind alle Bilder gleich. Bis sich plötzlich die Wirklichkeit ins Bild einschleicht. Beim Vergrößern voyeuristischer Park-Aufnahmen von Jane (Vanessa Redgrave) und ihrem Geliebten entdeckt er im Bildrand eine Hand mit Revolver samt Leiche im Gebüsch. Durch den unverhofften Wirklichkeitsgehalt findet er die Bilder noch viel faszinierender. Nur: Der Ästhetizist bleibt ein Fetischist, der schaut, statt zu handeln und etwa das Verbrechen aufzuklären.

Während Thomas sich im nächtlichen London verzettelt, verschwindet die Leiche aus dem Park, die Negative werden ihm aus dem Labor gestohlen. Erst in der Schlussszene wird er vom Beobachter zum Teilnehmer – jedoch nur bei einer surrealen Tennispantomime. Hier zeigt sich vielleicht zugleich das Dilemma von Antonioni in Blow Up, denn dessen kunstvoller Minimalismus vergegenwärtigt hier nicht mehr existenzielle Verlorenheit wie in seinen früheren Filmen. In dieser Cortazar-Verfilmung mit Hancock-Musik tastet er vielmehr wie Thomas die reine Oberfläche der Bilder nach Wirklichkeitsspuren ab, bis er sich in ihr verliert.

Ein Fetischist ist fraglos auch Mark (Karlheinz Böhm), Michael Powells Peeping Tom (1960), und zwar ein kinematographischer. Der Kameraassistent und Nebenerwerbsfotograf filmt in seiner Freizeit die angstverzerrten Gesichter von Frauen, während er ihnen mit einem am Stativbein angebrachten Messer die Kehle durchsticht. Mark will die Angst in völliger Reinheit festhalten, um so mit seiner traumatischen Kindheit fertig zu werden, in der er selbst Gegenstand der behavioristischen Angststudien seines Vaters war. Marks Schicksal ist die Potenzierung des Dilemmas des Fotografen, es ist die Tragödie des Regisseurs. Er inszeniert Situationen, um das reine Gefühl zu erzeugen. Aber gerade so tötet er dessen Lebendigkeit und kann nie an ihm teilhaben.

Der Skandal um Peeping Tom hat bekanntlich die Karrieren aller Beteiligten schlagartig beendet. Solche Probleme hatte Romy Schneider, Böhms Kollegin aus unschuldigeren Zeiten, mit Nachtblende (1974, Regie: Andrzej Zulawski) in den abgeklärten Siebzigern nicht mehr. Sie spielt eine Schauspielerin, die sich beim Porno verdingt. Ein Fotograf verliebt sich in sie und verschafft ihr mit Geld eine Rolle in einer schrägen Shakespeare-Inszenierung, wofür er seinerseits als Pornograph arbeiten muss. Doch die Foto-Thematik hat hier eher dekorative Funktion. Nachtblende ist Künstlergeschichte und Liebesmelodram, ein krudes Gewächs seiner Zeit mit Streicherschmelz. Zwischendurch wird geprügelt, besonders rabiat von Klaus Kinski als Schauspieler aus Wut über einen Verriss.

Außerdem in der Reihe: Hitchcocks Das Fenster zum Hof und Warphotographer von Christian Frei (2001), eine Dokumentation über den Kriegsfotografen James Nachtwey. Eine Mini-DV-Kamera an dessen Fotoapparat gibt Einsichten über mögliche Divergenzen zwischen Kriegsbildern und ihrer Inszenierung.

Nachtblende: Do + Sa, 20.30 Uhr, Sa + So, 22.30 Uhr; Rear Window (Das Fenster zum Hof): Do, 6.2., Sa, 8. + So, 9.2., 20.30 Uhr (Sa auch 22.45 Uhr); Blow Up: Do, 13.2., Sa, 15. + So, 16.2., 20.30 Uhr (Sa auch 22.45 Uhr); Peeping Tom: Do, 20.2., Sa 22. + So, 23.2., 20.30 Uhr (Sa auch 22.30 Uhr); Warphotographer: Do, 27.2., Sa, 1. + So, 2.3., 20.30 Uhr (Sa auch 22.30 Uhr), B-Movie