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Das Leben, kein Spiel

■ Ab heute im Kino: Dominik Grafs „Spieler“

Alles ist Spiel. Das Leben als große Losbude, wo neben vielen Nieten auch ein paar Trostpreise locken. Der Hauptgewinn jedoch ist nie drin, aber die Aussicht darauf versetzt bekanntlich Berge. Hoffnungen in der großen Lotterie, die Leben heißt. Nur: deutsches Spiel — und deutsches Leben — versteht keinen Spaß, deshalb muß dieses hier böse enden.

Dominik Graf hat einen Spielfilm gemacht. Schon der erste Dialog unterstreicht, daß auch die Form, nicht nur die Handlung einbezogen ist in eine Spielanweisung. Eine Stimme aus dem Off verkündet gottgleich vom Himmel herab: „Es stimmt, ihr werdet euch lieben.“ Und auf das ungläubige Staunen der Schauspielerpüppchen drunten auf dem Spielfeld ergänzt sie: „Ich weiß es, ich bin der Erzähler.“ Das Spiel als Haltung des Regisseurs: Nur am Anfang ist sie so stark betont; später wird weit weniger vor der Kamera gespielt, als zu befürchten war.

So zeichnet Dominik Graf seine männliche Hauptfigur Jojo auch nicht als den typischen Suchtkranken, der zu bedauern ist. Jojo neigt eher zu Fatalismus als zu Besessenheit, wirklich exzessiv spielt er nur mit seiner Zuneigung zu Katrin. Die Liebesgeschichte der beiden entwickelt sich zu einem Rollenspiel, worin die Partner immer und überall auf volles Risiko setzen.

Die Liebe kann sich nur dann entfalten, wenn nach dem Triumph des einen über den anderen ein kurzer Moment des Glücks folgt. Katrin bringt Jojo dazu, dem Spiel zu entsagen und läßt es sich von ihm auf die Brust schreiben — ein Schwur auf die nackte Haut. Doch sie selbst bricht die Übereinkunft, setzt auf die Pferde, die Jojo nie Glück gebracht haben, und gewinnt. Es gibt eben kein verläßliches System, nirgends finden sich Anhaltspunkte, welches Verhalten richig und welches falsch sein könnte. Wer spielt, kann gewinnen oder verlieren. Die Chancen stehen eins zu eins, auch in der Liebe, und das ist doch nicht schlecht.

Grafs Figuren sind neben sich, sie wollen erst gar nicht in den Grenzen eines eng festgelegten Charakters handeln; vor allem Katrin liebt es, sich je nach Situation zu verkleiden. Mal ist sie die feine Dame, die am Spieltisch auftrumpft und im nächsten Moment sieht sie so aus, wie eine Frau aussehen muß, die auf einem Campingplatz lebt und nicht auffallen will. Der Alltag als permanentes Versteckspiel, bei dem der Spaß darin besteht, in die Haut eines anderen zu schlüpfen, ohne dabei seine Identität zu verlieren.

Diese spielerische Distanz zur Normalität und eine leicht zynische Haltung geben dem Film die Substanz, die zusammen mit den komödiantischen Verrenkungen der drei Freunde Jojo, Katrin und Tom zunächst einen unverkrampften Eindruck hinterläßt.

Doch die Idee, mit den Figuren zu spielen, sie spielen zu lassen, verdünnt sich zum puren Ornament, als die Liebeskomödie ins Tragische umkippt. Den Mut, trotz der immer größeren Kluft zwischen den beiden Liebenden, das Spiel auch als solches enden zu lassen, hat Dominik Graf nicht gefunden. Statt dessen kullert unheilschwanger eine Handgranate durch die Handlung, die nur darauf wartet, der unverschämten Leichtigkeit und Unverdrossenheit der Hauptdarsteller ein Ende zu setzen.

Nun ist es jedem Regisseur überlassen, einen Liebesfilm tragisch oder komisch enden zu lassen, aber die Art Grafs, dem Zuschauer zunächst über neunzig Minuten zu erzählen, wie wenig sich die drei um ein normales Leben scheren, und dann plötzlich die Bombe der Realität platzen zu lassen, nimmt dem Film viel von seiner ungewöhnlichen Freiheit. So ist, was spielerisch daherkommt, im Kern nichts weiter als eine altkluge Liebesgeschichte. Dominik Graf sucht die Eindeutigkeit. Und sie soll uns leider darüber belehren, daß das Leben gemeinhin ernster ist als das Spiel. Als ob wir das nicht wüßten. Christof Boy

Dominik Graf: Spieler , mit Peter Lohmeyer, Anica Dobra, Hansa Czypionka, BRD 1990, 111 Min.

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