Das Künstlerduo Elmgreen & Dragset: "Eine Liebesszene, sonst nichts"
Mit Küssen denken, mit Küssen erinnern: Heute wird das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten der Öffentlichkeit übergeben. Ein Gespräch.
Der Däne Michael Elmgreen und der Norwege Ingar Dragset realisieren seit 1995 unter dem Namen Elmgreen & Dragset Kunstprojekte im Duo. Sie leben und arbeiten in Berlin. 2006 gewannen sie den Wettwerb zur Gestaltung eines Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - eine Inititiave unter anderem des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Für Bau und Unterhalt des Denkmals ist das Kulturstaatsministerium verantwortlich. Das Denkmal besteht aus einem Betonquader, der eine Replik eine der Stelen Eisenmans ist. Im Innern wird das Filmloop einer Kussszene gezeigt (Regie: Thomas Vinterberg, Kamera: Robby Müller, gedreht auf einem alten DDR-Film). Am heutigen Dienstag um 13 Uhr wird das Denkmal, das sich am südlichen Rand des Tiergartens befindet, direkt gegenüber dem Holocaust-Mahnmal, der Öffentlichkeit übergeben.
taz: Herr Elmgreen und Herr Dragset, als Künstlerduo kennt man Sie dafür, das Sie sich in Ihren Arbeiten mit öffentlichem oder institutionalisiertem Raum beschäftigen. Wie gingen Sie denn an die Aufgabe heran, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu gestalten?
Elmgreen und Dragset: Es fiel uns nicht leicht, die Entscheidung zu treffen, bei dem Wettbewerb für das Denkmal mitzumachen. Einerseits: Wir glauben nicht wirklich, dass öffentliche Denkmäler allgemein funktionieren, da sie meist zu statisch sind, während ihre Umgebung sich verändert. Irgendwann sehen sie dann aus wie Aliens, die irgendwo in der Stadtlandschaft abgeladen wurden. Andererseits hatten wir das Gefühl, dass es eine einzigartige Chance wäre, ein öffentliches visuelles Zeichen zu setzen, das dauerhaft ist, von den Behörden abgesegnet und zugleich auf einer homosexuellen Identität basiert. Selbst in einer Stadt wie Berlin, wo es eine so große schwule und lesbische Bevölkerung gibt, existieren fast gar keine Kunstwerke im öffentlichen Raum, die von diesem Teil der Bevölkerung erzählen. Verblüffend, oder?
Es gab Kritik, unter anderen von der Zeitschrift Emma, dass in dem Video von zwei küssenden Männern, das in dem Betonquader gezeigt wird, die lesbischen Frauen sich nicht repräsentiert fühlen könnten. Haben Sie je daran gedacht, ihr Mahnmal daraufhin zu verändern?
Nein. Die zwei schwulen Männer, die sich küssen, repräsentieren nicht die Schwulen allgemein. Sie stellen einfach eine emotionale Szene zwischen zwei küssenden Männern dar. Sie könnten niemals alle Schwulen repräsentieren, denn Schwule sind sehr unterschiedlich. Es gibt junge Schwule und alte. Es gibt schlanke und dicke und blonde und dunkelhaarige. Es gibt konservative und radikal linke Schwule. Wie könnten sie etwas repräsentieren als sich selbst? Es ist eine Liebesszene, sonst nichts. Es ist naiv, zu glauben, dass man man repräsentiert ist, bloß weil es ein Bild in einem Film gibt, wo jemand zu sehen ist, der dieselbe sexuelle Orientierung hat. Aber: Die Debatte löste auch etwas Positives aus. Alle zwei Jahre wird nun ein Wechsel der Videofilme in dem Betonquader stattfinden. Eine Expertenjury - ohne uns - wird die nächsten Filme und Videos aussuchen. Auf diese Weise wird das Denkmal hoffentlich lebendig bleiben. Neue Diskussionen und Debatten über Identität, Kunst und Repräsentation werden entstehen. Das ist großartig.
Werden also auch Videos anderer Künstler im Innern des Denkmals gezeigt werden?
Die Videos oder Filme werden ausschließlich von anderen Künstlern kommen. Wir werden nicht einmal ein Teil der Jury sein. Wie werden keinen Einfluss nehmen, sondern geben das Mahnmal an andere zum Benutzen weiter. Wir wir schon gesagt haben: Es ist wichtig, nicht zu kontrollwütig zu sein, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht.
Die Stelen des Holocaust-Mahnmals gegenüber werden ja gerne zum Picknicken zweckentfremdet. Fänden Sie es gut, wenn Ihr Denkmal ein Treffpunkt für Tiergarten-Cruiser wird?
Das wäre natürlich toll. Die Stadt hat sich nicht so sehr um die Absicherung gekümmert, also wird es hoffentlich nicht schon in den ersten Wochen kaputt gehauen. Man darf nicht so neurotisch sein, wenn man etwas im öffentlichen Raum platziert. Als wir vor vielen Jahren unsere Installation "Dug Down Gallery" in Island gemacht haben, wurde sie plötzlich ein Partyort für Teenager.
Ihr Denkmal in einem Satz:
Ein Denkmal der Intimität, das auf direkter persönlicher Konfrontation basiert.
Wie hat die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert?
Nun ja - es war ein mühsamer bürokratischer Prozess, und eines ist sicher: Das machen wir nicht noch mal. Wir haben den offiziellen Brief, der unsere Eröffnung ankündigt, zehn Tage nach dem Pressetermin bekommen! Aus dem Kulturministerium wurde uns mitgeteilt, dass ein Kuss zwischen zwei Männern nicht auf der Einladungskarte abgebildet werden kann. Komisch, oder? Denn das ist doch ein entscheidender Teil der Arbeit. Das beweist aber auch - trotz der Kontroverse, die darum entstand -, dass es ein relevantes Bild ist. Es überraschte uns nicht, dass ein CDU-Minister die Idee nicht gut fand, eine Einladungskarte mit diesem Bild darauf zu versenden, wenn wir auch finden, dass er seine Kompetenzen überschritt, als er sich da einmischte. Was uns aber wirklich schockierte: dass ein Vorstand des LSVD diese Entscheidung unterstützte. Dadurch wird sexuelle Politik zu sehr zu einem politischen Kompromiss und hat nichts mehr mit Sexualität zu tun.
Gibt es ein Denkmal, das Sie gerne noch realisieren würden?
Wir haben ein nicht realisiertes Monument für eine Ausstellung in San Francisco entworfen. Die Ausstellung bestand aus Vorschlägen für ein neues "Amerika-Monument" - hypothetische Denkmalentwürfe, die die gegenwärtige amerikanische Identität darstellen. Unser Vorschlag war eine Textskulptur für das Freie, in der berühmten Schrift von Robert Indiana, da sollte stehen: SHORT TERM MEMORY. Ja, ein Denkmal für das Kurzzeitgedächtnis wäre toll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!