: Das Klavier als moralische Instanz
Von Kunst und Gewalt: Der Film „De battre mon coeur s’est arreté – der Schlag, der mein Herz aussetzen ließ“ (Wettbewerb) von Jaques Audiard beschreibt glaubhaft die Wandlung eines kaltschnäuzigen Schuldeneintreibers zum sensiblen Pianisten
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Tom ist kein sympathischer Typ. Seiner kaltschnäuzigen Machoattitüde fehlt die nötige Gelassenheit, um cool zu wirken. Und um mit seiner jugendlichen Unsicherheit noch Herzen zu erobern, dafür ist er schon etwas zu alt. Sein Job trägt zu dieser negativen Ausstrahlung noch bei. In einer Art Immobilienagentur besorgt er diverse Schmutzarbeiten: Mal setzt er zur „Entmietung“ nächtens Ratten aus, manchmal setzen er und seine Kollegen bei ihren Einsätzen auch Baseballschläger ein. Kurioserweise treten sie dabei wie ordentliche Angestellte in weißem Hemd und Anzug auf.
Mit Tom möchte man also nicht wirklich etwas zu tun haben. Nicht zuletzt deshalb erkennt man den Darsteller auch kaum wieder: Als Erasmus-Student in „Ein Jahr in Barcelona“ flogen Romain Duris die Sympathien nur so zu. Das Wunder, das Duris in Jacques Audiards Film „Der Schlag, der mein Herz aussetzen ließ“ vollbringt, besteht darin, den Zuschauer dazu zu kriegen, den Unsympathen Tom schließlich doch zu mögen. Dabei verändert er sich kaum; die Veränderung liegt im Auge des Betrachters: Man lernt ihn einfach zu gut kennen.
Zum Beispiel Toms Verhältnis zu seinem Vater: Der, eine groteske Gestalt mit blondiertem Haar und Depardieu-hafter Leibesmasse, verleiht Geld an zwielichtige Gestalten und bittet den Sohn gern darum, sich an den Brutalitäten des Schuldeneintreibens zu beteiligen. Irgendwann wird klar, was an diesem Verhältnis so rührend ist – der Sohn macht sich um seinen Vater mehr Sorgen als umgekehrt. Er versucht ihn zu beschützen, vor gefährlichen Geschäftspartnern genauso wie vor falschen Freundinnen.
Dann kommt das Klavierspiel hinzu. So unwahrscheinlich es klingt, macht der Film glaubhaft, dass Toms verstorbene Mutter Pianistin war und auch er selbst eine solide musikalische Grundausbildung hat. Eine zufällige Begegnung mit einem alten Bekannten der Mutter bringt ihn auf die Idee, es doch noch einmal zu versuchen mit der Pianistenkarriere. Er beginnt ein merkwürdiges Doppelleben und nimmt fortan nebenbei täglich bei einer chinesischen Immigrantin Klavierunterricht. Sie spricht kein Wort Französisch, wobei es gerade die Unmöglichkeit der direkten Kommunikation ist, die der vorsichtigen Annäherung zwischen ihnen den Weg bahnt. Am Anfang kann Tom es nicht ertragen, dass sie ihm beim Spiel zuschaut. Man sieht, wie mühsam es für ihn ist, den Stolz seiner professionellen Brutalität abzulegen. Der Film zeigt jedoch weniger sein langsames Auftauen als vielmehr, wie sich dieser Prozess in den Reaktionen der Chinesin spiegelt: Von Mal zu Mal lässt sie sich weniger von ihm einschüchtern. „Very good“, lobt sie schließlich – und spätestens an der Stelle merkt man, dass man längst um Tom zittert.
Gleichzeitig spürt man, dass das alles nicht gut gehen kann. Es kommt, wie es kommen muss, und dann doch noch einmal ganz anders. Überhaupt besticht Audiards Film dadurch, dass sich die Handlung so wenig vorhersehen lässt. Ihm ist das Kunststück gelungen, den Stoff des amerikanischen Originals – James Tobacks „Fingers“ mit Harvey Keitel – so zu adaptieren, dass man ihn für genuin französisch halten könnte. Den plakativen Gegensatz von Kunst und Gewalt verankert der Film atmosphärisch so stimmig im urbanen Milieu, dass man dessen Gezwungenheit ganz vergisst.
„De battre mon coeur s’est arreté“. 17. 2., 22.30 Uhr, Berlinale Palast, 18. 2. 18.30 Uhr und 23.30 Uhr, Urania