HAMBURGER SZENE VON KRISTIANA LUDWIG : Das Kapital des Kapitäns
Da sitzt er, der alte Seebär, der ergraute Kapitän. In der Sonne hat er sich niedergelassen. Er gehört an den Hafen, das sieht man gleich: Weißes Haar rahmt ein Gesicht, in das die Brise Furchen geschlagen hat. Darüber Schirmmütze und in der Hand die Mandoline. Jetzt hockt er auf dem Bürgersteig – genau dort, wo hippe Schanzenstraße und angesagtes Schulterblatt sich treffen. Ob er hier singen will?
Ein junger Mann klappt seinen schwarzen Koffer auf. Er holt einen runden Stoff heraus. Beschichtet mit Aluminium reflektiert er die Sonnenstrahlen und wirft sie auf den Alten. Der Kapitän vor der quietschbunten Schaufensterpuppe – der Mann zielt mit seinem Fotoapparat und knipst. Der Kapitän hält still, hebt die Mandoline an. So als wolle er spielen.
„Ich geb’ Ihnen gleich auch mal meine Karte“, sagt der Junge zum Alten, als er seine Fotoausrüstung wieder in den Koffer sortiert. Der lässt sein Instrument sinken, legt es vorsichtig auf die Pflastersteine neben sich. „Ja“, sagt er.
Als der Fotograf schon längst gegangen ist, sitzt der Seefahrer noch immer vor dem Modegeschäft. Drei Männer haben sich jetzt zu ihm gestellt. Sie unterhalten sich mit ihm. Die Mandoline liegt auf dem Boden, nach wie vor. Vielleicht ist der Kapitän auch deshalb hier gelandet: um einmal aufzufallen.