■ Das Ja zur Scheidung ist noch kein Schritt in die Zukunft: Die Angst in der Abstimmungskabine
Irland hat „Ja“ zur Scheidung gesagt. Aber hat die Grüne Insel damit auch die endgültige Trennung von Kirche und Staat vollzogen? Noch nicht. Dafür war das Ergebnis zu knapp. Eher zeigt es wohl die deutliche Trennung von Stadt und Land. Obwohl die katholische Kirche nach der endlosen Kette von Skandalen wegen Kindesmißbrauchs durch Geistliche so schwach ist wie nie in den vergangenen 150 Jahren, wollte die Hälfte der WählerInnen am Scheidungsverbot festhalten. Es scheint, daß die Skandale die Angst vor Veränderungen sogar verstärkt haben.
Irland hat sich in den vergangenen 20 Jahren immer mehr den westeuropäischen Ländern angepaßt, was den Lebensstil, die sozialen Probleme und die Sexualmoral betrifft. Doch 80 Prozent der Bevölkerung gehen immer noch mindestens einmal in der Woche in die Kirche. In Italien ist es weniger als ein Achtel. Die Skandale um den irischen Klerus werden von der Mehrheit deshalb nicht als Befreiung von der Macht der Kirche gesehen, sondern als Bedrohung. Die Folge ist, daß man zwar individuelle Priester verdammt, aber sich aus Furcht vor einer sich wandelnden Gesellschaft an die Institution der Kirche klammert. Eine Studie vom vergangenen Jahr hat ergeben, daß die IrInnen zutiefst pessimistisch sind, was die Zukunft angeht. Eine deutliche Mehrheit rechnet mit mehr Gewalt, weniger Toleranz und höherer Arbeitslosigkeit zur Jahrtausendwende. Die Scheidungsdebatte hat gezeigt, daß die Angst vor einem Zusammenbruch der sozialen Strukturen fast ebensogroß ist. Darauf hat die Anti-Scheidungslobby gebaut, und fast hätte es ja auch geklappt.
Profititert die Kirche von dem Pessimismus, so trifft für die Politik das Gegenteil zu. Zwar haben die PolitikerInnen ihren Willen bekommen, aber froh darüber können sie eigentlich nicht sein. Sämtliche Parlamentsparteien haben sich vehement für die Verfassungsänderung eingesetzt. Dafür ist das Ergebnis ziemlich lausig. Selbst das Argument, daß eine liberalere Gesetzgebung den Frieden in Nordirland und eine Annäherung beider Teile der Insel fördern würde, hat nicht gezogen. Fest steht, daß eine ganze Reihe von Menschen gegen Scheidung gestimmt haben, um den PolitikerInnen eins auszuwischen. Die Parteien können sich auf den Sieg im Referendum jedenfalls nichts einbilden. Er ist trotz ihnen zustande gekommen. Doch das Ja zur Scheidung war nicht der große Schritt in die Zukunft, den sich die ModernisiererInnen erhofft hatten. Aber es ist ein Hoffnungsschimmer. Ralf Sotscheck
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