Das Imperium schlägt zurück

■ Der Pistenskilauf gilt als ein Synonym für hemmungslose Naturzerstörung. Seilbahnbetreiber formieren sich zu Kartellen und üben Druck auf ganze Talschaften aus

Karl-Heinz Rochlitz DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK

Der Pistenskilauf gilt als ein Synonym für hemmungslose Naturzerstörung. Seilbahnbetreiber formieren sich zu Kartellen und üben Druck auf ganze Talschaften aus.

Wieder sind wir mitten in einem Winter, und Zehntausende, an Spitzentagen Hunderttausende von Skifahrern vergnügen sich auf den Skipisten im Alpenraum. Wieder läuft der Ski-Weltcup -Zirkus ebenso auf Hochtouren wie das Geschäft mit dem „ganz normalen Skifahrer“. Der Rubel rollt und bringt manchen Tourismusmanager ins Grübeln, wie er noch mehr Umsatz, noch mehr Gewinn erwirtschaften könne. Erschließungswünsche werden wach: „Wie wäre es mit dem Ausbau des Berges gleich neben dem bestehenden Skigebiet? Wäre dann nicht das Skirevier weitaus attraktiver - gegenüber der leidigen Konkurrenz im Nachbartal?“ Eine gängige Frage, die oft genug jedoch mit den Bedürfnissen des Naturschutzes kollidiert. Was tun? Märchen vom

qualitativen Wachstum

Es dürfte wohl kaum einen Seilbahnmanager geben, der vor den Argumenten der Naturschützer oder vor einem Erschließungsstopp zurückschreckt, so wie ihn die Tiroler Landesregierung im Juli letzten Jahres für alle Neuerschließungen für die Dauer von drei Jahren verkündet hat. Der einfache Ausweg: Man erschließt nicht „neu“, sondern baut nur „aus“, verbessert also das Angebot: Die leistungsfähige, koppelbare Gondelbahn oder den Vierer statt den Zweiersessellift zu errichten ist fast nirgends in den Alpen ein Problem. Doch jeder zusätzliche Tourist, der sich in einem Skigebiet auf den Pisten tummelt, verursacht einen zusätzlichen Bedarf an Pistenflächen, Pistenpräparierung, Hotelbetten, Parkplätzen und leistungsgerechten Straßenzufahrten. Alpen vor neuer Erschließungswelle

Die Konzentration auf den sogenannten qualitativen Ausbau und die scheinbar weitgehende Aufgabe von Neuerschließungsplänen ist aber nichts weiter als die Ruhe vor dem Sturm. Längst haben im Seilbahnbereich Änderungen eingesetzt, durch die spätestens in einigen Jahren neue, gewaltige Ausbaupläne drohen.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit beginnen sich regelrechte Seilbahnkartelle zu formieren, die in nicht allzuferner Zukunft die weitere Entwicklung diktieren können - nach dem Motto: Wenn ein Bürgermeister in einem bestimmten Ort nicht spurt und nicht für Erschließungsgenehmigungen seitens übergeordneter Behörden sorgt, kann man ohne Aufhebens mit der Schließung des bestehenden Skigebietes drohen; was dem Seilbahnimperium kaum schadet, ja, ihm über die Vermeidung roter Zahlen vielleicht sogar nutzt, kann sich für eine Gemeinde, ja ganze Täler zur regionalen Katastrophe auswachsen. An Beispielen für solche Seilbahnimperien fehlt es nicht, ebenso wenig wie an schon bestehenden Erschließungsvorhaben, die meist als Rettungsmaßnahmen für nicht mehr zeitgemäße Skigebiete kaschiert werden. Das derzeit beste Beispiel finden wir im Zillertal. Das Schulz-Imperium

Nur wenige Jahre benötigte Heinrich Schulz aus Kaltenbach im Zillertal, um sein Seilbahnimperium aufzubauen. Ausgehend vom Bergbahnen-Skizentrum „Hochzillertal“ in Kaltenbach, das 1978 eröffnet wurde, erwarb Schulz 1987 die Ankogelbahnen in Mallnitz, die bereits seit 1965 bestehen, und eröffnete im Sommer desselben Jahres ein Gletscherskigebiet am Wurtenkees auf der Südseite des Schareck: das erste Gletscherskigebiet Kärntens - auf einem südseitigen Gletscher, den nach Aussagen von Glaziologen in spätestens zehn Jahren der allgemeine Gletscherschwund hinweggerafft haben dürfte. Doch solche Überlegungen tangieren Seilbahnunternehmer Schulz nicht. Das Wurtenkees, ob der bösen Berichterstattung in der Presse längst zum werbewirksamen „Mölltaler Gletscher“ avanciert, wurde nach Untersuchungen der Abteilung Umweltschutz der Kärntner Landesregierung im Sommer 1988 regelrecht eingepökelt. Pro Monat wurden bis zu 1.500 Kilogramm chemischer Präparierungsmittel sowie Salz auf den Gletscher geschüttet. Die Folge: Beim Stickstoff wurde eine bis zu 50.000fache, bei Phosphor eine bis 500-, bei Kalium eine 60fache und bei Kalzium eine 20fache Erhöhung der üblichen Werte gemessen (siehe auch taz vom 7.10.89).

Die Pläne zur behördlich verfügten Einstellung des Pistenskibetriebes am Wurtenkees blieben Makulatur. Nur in einem Punkt leistete die Kärntner Landesregierung Widerstand. Das Erschließungsvorhaben der dem Schareck benachbarten Kleinfragant, durch die man das Sommerskigebiet in ein Ganzjahresskigebiet hätte umwandeln können, wurde dank der vier SPÖ-Landesräte in der Regierung abgelehnt. Die Sozialdemokraten stimmten zusammen mit dem in letzter Minute doch noch nachdenklich gewordenen FPÖ-Landeshauptmann Haider für die Erklärung der Kleinfragant zum Naturschutzgebiet.

Für das Seilbahnimperium des Herrn Schulz war die Niederlage jedoch nur marginal. Bereits im Februar 1989 hatte das „Hochpustertaler Skizentrum“ in Sillian/Osttirol „nach einer Rekordbauzeit von nur fünf Monaten“ seinen Betrieb aufgenommen. Protzig wie selten steht die Talstation unmittelbar neben der Pustertaler Bundesstraße. Zusätzlich zu einer weiteren Vierersesselbahn und einem Schlepplift soll 1990 der Bau von drei neuen Sesselbahnen erfolgen: Ski total!

Zum Schulz-Kartell gehört auch die Sonnwendjochbahn im Rofan, wo die Gemeinde Kramsach seit 1968 eine Seilbahn hinauf zum Roßkogel betrieb, ehe sie die ständig in den roten Zahlen befindliche Bahn 1987 für einen Apfel und ein Ei an Schulz verkaufte. Der plante sogleich Großes: Die Erschließung der „Roßwies“ am Roßkogel - den Einstieg in einen großen Skizirkus bis hinüber nach Steinberg und Brandenberg. Als sich unerwartet deutlicher Widerstand der betroffenen Grundeigentümer regte, sollte Druck auf den Bürgermeister weiterhelfen, denn ohne Änderungen „ist der Umbau bzw. eine Verbesserung im Bereich der Kramsacher Sonnwendjoch-Bergbahn nicht mehr möglich. (...) Nach unserem Ermessen glauben wir, daß die bestehenden Liftanlagen maximal zwischen zwei bis drei Jahren noch wirtschaftlich geführt werden können und ab diesem Zeitpunkt sicherlich mit der Betriebseinstellung der bestehenden Anlagen zu rechnen ist.“ Erst die vom Land Tirol kurz darauf verkünderte „Nachdenkpause“ legte die Erschließungs-, nicht aber die Neubaupläne der Sonnwendjoch-Bergbahn für drei Jahre auf Eis, wobei Schulz sogleich seine Erwartung gegenüber der Gemeinde kundtat, daß er sich aufgrund des Anschlußzwangs sämtlicher Wirtschaftsbetriebe im Liftbereich an die Gemeindekanalisation wenigstens die „volle Unterstützung der Gemeinde“ - es geht um zwölf bis 15 Millionen Schilling „erwarte“. Kurzum: Kaum ist die Gemeinde ihre defizitäre Seilbahn los, wird sie schon wieder für Selbstverständlichkeiten zur Kasse gebeten... Silvretta-Nova auf Expansionskurs

Auch ein anderes großes Seilbahnunternehmen aus Österreich, die „Silvretta-Nova“ mit ihren unzähligen Seilbahnen und Liften in Ischgl und Galtür, trägt sich mit Expansionsgedanken. Im Langtauferer Tal in Südtirol droht dem kleinen, ziemlich unattraktiven Skigebiet im Gebiet der Maßebenalm mit der 15-Jahres-Inspektion 1990 das endgültige Aus. Ein finanzkräftiger Geldgeber muß für die dringend erforderlichen Investitionen gefunden werden. Wer eine unrentable Seilbahn hat, braucht jedoch zur Zeit nicht lange zu suchen: Schon ist die „Silvretta-Nova“ als „Retter in der Not“ im Tal im Gespräch - freilich nicht aus karitativen Überlegungen heraus, sondern weil sich die Gesellschaft davon im Gegenzug die Genehmigung zur Erschließung des Kaunertaler Gletscherskigebietes von Südtiroler Seite aus erhofft. Und wäre damit erst einmal der Einbruch des Massentourismus in das heute noch stille Langtauferer Tal gelungen, wäre auch die Totalerschließung der Gesamtregion nicht mehr aufzuhalten. Eines der größten Skigebiete der Alpen, die östliche Silvretta, Samnaungruppe und westlichen Ötztaler Alpen umfassend, wäre das Endergebnis. Einheimische auf

verlorenem Posten

Den Naturschützern bleibt angesichts solcher Pläne kaum mehr als Resignation. Allenfalls die zunehmende Besorgnis Einheimischer, die sich in der Gründung einiger Bürgerinitiativen manifestiert, macht da und dort, meist aber nur in ohnehin schon weitgehend erschlossenen Gebieten, Hoffnung. Ob sich jedoch solche Bürgerbündnisse gegen die sich abzeichnenden Seilbahnkartelle behaupten können, muß bezweifelt werden: Das Skigebiet eines Dorfes, ja, eines ganzen Tales zumindest vorübergehend als Druckmittel stillzulegen ist für ein Unternehmen mit vielen Skigebieten kein Problem - der soziale Druck in vielen Tälern wächst zur Zeit gewaltig. Ganze Talschaften sind inzwischen von einzelnen Dorfpotentaten abhängig, die freilich meist nur Galionsfiguren mächtiger im Hintergrund stehender Seilbahnkonzerne sind.