: Das Hohelied der Literatur
■ Am Samstag endete »A Voyage Around« — ein literarisch-musikalischer Streifzug im Haus der Kulturen der Welt
Wole Soyinkas Dichtungen sind für deutsche Leser schwierig: geballte Potenzierungen klassischer englischer Sprachmittel, Epen in musikalischer Form, mit Seitenthemen, Reprisen, sprachlichen Kadenzen. Naheliegend, diese Gedichte zu Musik vorzutragen. Die Veranstaltung »Jazz and Poetry« am Freitag abend im Haus der Kulturen der Welt, auf der der nigerianische Autor Wole Soyinka anderthalb Stunden lang eigene Gedichte zu Jazzklängen las, lag weit über dem Niveau der üblichen Afrika-Folklore.
Einige Zuhörer hatten sich wohl verirrt, lauschten ratlos dieser nigerianischen Übernahme shakespearianischer Sprachgewalt vor dem Hintergrund eines üblicherweise in anderen Zusammenhängen dargebotenen Avantgardeklangs. Doch wer sich von Soyinkas komplizierter Poesie nicht verschrecken ließ, erlebte Seltenes: das wechselseitige Befruchten zweier voneinander unabhängig entstandener Kunstformen, die beide an eigenständiger Kraft gewannen. Die gewaltige Aufgabe, die sich Soyinka in seinen Texten gestellt hat — die Rückgewinnung der afrikanischen Geschichte — gewann durch die Musik von Matthias Frey, Christoph Haberer und Tunji Oyelana neue Konturen.
Nach einem breiten dreiviertelstündigem Epos folgen: The Apotheosis of Master Sergeant Doe mit synthetisierten Trompetenstößen, Muhammad Ali In The Ring vor dem Hintergrund von Perkussionsabenteuern, Your Logic Frightens Me, Mandela mit Tönen von ebenso beängstigender Logik. Zum Schluß Totenfahrt nach Soweto: Eine Trauerrede in die Gegensätze Afrikas hinein, in den »verherrlichten Tod« der alten Zivilisationen, eine Grabpredigt, die nicht vergessen kann, auch wenn sie um den Schmerz des Nicht-Vergessens weiß. Immer neue Welten tun sich auf, ein unfertiges Wissen jagt das andere, bis zum resignativen Ende. And now we wish to bury our dead.
Nach dem Soyinka-Konzert sollte die Veranstaltungsreihe A Voyage Around am Samstag abend einen krönenden Abschluß erfahren, ein Zusammenkommen aller vertretenen Autoren und Gäste. Star der Samstags-Talkshow war Francis Bebey, Dichter und Sänger aus Kamerun, dessen musikalische Einlagen zu unfreiwilligen Selbstaussagen gerieten. »Am Anfang gab es nichts. Gar nichts. Nur ein ganz kleines Stückchen Etwas: die Langeweile.« Bebey erzählt von der Schöpfung der Welt, vom gelangweilten Gott, der sich eine sanza baut, ein afrikanisches Saiteninstrument, und mittels verschiedener Töne die Welt erschafft. Dann zupft er einen häßlichen, falschen Ton, und schwupp: aus der sanza ergießt sich die gesamte falsche, häßliche Menschheit.
Die richtige Tonart blieb auch in der Veranstaltung unauffindbar. Man redete viel aneinander vorbei, flotte Einsichten kamen nicht wegen, sondern trotz der — bis auf eine Ausnahme deutschen — Fragerei. Wenn sich Deutsche und Afrikaner hier unterschieden, dann in der Einschätzung »hoher« Literatur. Die Zimbabwerin Tsitsi Dangaremba findet »Penthesilea« zugleich zum Totlachen und sterbenslangweilig. Francis Bebey erklärt, er hasse Schreiben und Lesen. Schließlich haben das die Europäer erfunden, warum soll es Afrika nachmachen? Die Provokationen nützen nichts, brav wird abgefragt: Wie verläuft die literarische Rezeption in Afrika? Pabé Mongo, ebenfalls aus Kamerun: »Bei uns liest sowieso niemand Bücher.«
So wird die afrikanische Literatur zu dem schlechten Bild gemacht, das solche Veranstaltungsreihen eigentlich abbauen sollen: zum kranken, pflegebedürftigen Kind der Weltklassik. Ein Dialog zwischen den afrikanischen Schriftstellern findet — zumindest öffentlich — nicht statt. Dominic Johnson
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