: Das Herz eines Papstes
Der Mann in den Schuhen des Fischers wird nur ganzteilig unter die Erde gebracht
Nachdem bekanntlich die Kroaten im Zweiten Weltkrieg gefangenen serbischen Partisanen die Augen ausrissen und in Weidenkörben sammelten, nachdem Soldaten der russischen Armee im Tschetschenischen Bürgerkrieg ihren Feinden die Ohren abtrennten, um sie an einer Halskette spazieren zu tragen, wollten nun auch die Polen ihren Schnitt machen und dem toten Popen das Herz aus dem Leib reißen – aber dieser landsmannschaftlich begreifbare Herzenswunsch wurde ihnen verweigert. Der Pontifex, so der kühle Bescheid aus dem Vatikan, werde als „ganzer Körper“ bestattet, also mit inklusive allem.
Der ihm 1958 entfernte Blinddarm, all die Jahre asserviert von einer weit blickenden Nonne der Pathologie des Krankenhauses von Krakau in einem Gurkenglas in der zehnten Reihe eines Kellerregals, wo er geschützt von einer Phalanx in Formalin schwimmenden Dickdarmtumoren vor sich hin döste, ist bereits auf dem Weg nach Rom, ebenso wie ein kleines Paket aus der Wäschekammer der Klosterschule, enthaltend jene zerknüllten und mit gewissen Flecken überzogenen Taschentücher, die von der frühen Selbsterkenntnis des jungen Karol Woytiła beredte Kunde geben. Gut möglich, dass außerdem die Stratosphäre nach Feinstaubpartikeln abklappert wird, denn irgendwelche Schuppen und Haare des Papstes dürften dort gewiss ihre Bahn ziehen.
Was allerdings den „ganzen Körper“ angeht, so war er schon längere Zeit nicht mehr „ganz“. Vor die Wahl gestellt, um welches Körperteil man sich bewerben sollte, gesetzt den Fall, es gäbe da eine Art Ausschreibung, man käme ins Grübeln. Die Milz vielleicht? Knie? Leber? Magen, Nieren, Gallensteine? Auf die Achselhaare wird wohl niemand mitbieten. Auch Hühneraugen des Heiligen Vaters werden so schnell keine Abnehmer finden. Und ob sein Gehirn tatsächlich so großartig ist, wie allseits angenommen, oder womöglich dreimal täglich gegossen werden müsste, sei sehr dahingestellt.
Wer weiß, am Ende erweist sich die Idee der Polen mit dem Herzen als keine schlechte Wahl, im Gegensatz etwa zur Hüfte, die seit dem Unfall im Badezimmer 1994 nur noch morsch in den Scharnieren knirschte. Allerdings würde das Herz des Papstes, mag es noch groß gewesen sein, für alle Polen kaum reichen, auch dann nicht, wenn man es in ähnlich dünne Scheiben schnötte, wie es sie zur demnächst wieder anstehenden Spargelzeit immer beim Parmaschinken gibt. Diese Scheiben sind derart dünn, dass das Wort Scheibe für sie eigentlich nicht in Betracht kommen dürfte. Es sind eher Hologramme, Schinkenhologramme, zwischen denen als Trennelement vergleichsweise dicke Plastikfolien liegen, auf welche ein Hauch von Parmaschinken aufgedampft ist. Doch selbst wenn das Herz des Papstes wie die Blattgoldpartikelchen im Danziger Goldwasser zu portionieren wäre, so dass alle Polen, sagen wir, eine Ahnung davon bekämen – was dann? Zu Spargel, den die Polen übrigens eher stechen als essen, dürfte Herz ja wohl nicht passen!
Bleibt ein Organ, an das hier aus Gründen der Pietät nicht einmal gedacht werden darf, geschweige denn, dass es überhaupt genannt werden könnte. Man muss wissen, dass bei der Präparierung der Päpste alle Körperöffnungen verschlossen zu werden pflegen, teils mit Watte, teils mit Wolle, teils unter Zuhilfenahme eines Strickes. Es gibt offenbar Gründe dafür – Gründe, die dagegen sprechen, dass die symbolische Schnur, die das Zölibat katholischen Priestern umlegt, auch nach deren Tod noch ausreichend sei. Wenn der Vatikan schon beim Herausrücken des Herzens rumzickt, wird er jedenfalls ein Organ, das er eben noch festgebunden hat, kaum freigeben. RAYK WIELAND