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Archiv-Artikel

Das Hakenkreuz wird nicht europaweit verboten. Das ist besser so Im Zweifel für die Liberalität

Die Bundesregierung hat ihren Versuch, das Hakenkreuz europaweit unter Strafe zu stellen, wieder still zurückgezogen. Offenbar haben die Zuständigen realisiert, dass eine derartige Regelung vor allem mit der anglobritischen Rechtskultur völlig unvereinbar ist. Hätte ihnen das nicht vorher jemand sagen können?

Es gibt dort die ehrenwerte Rechtstradition, dass Meinungen gesagt und politische Symbole gezeigt werden dürfen, auch wenn sie noch so unappetitlich sind. Gegen Radikale geht man nicht mit Meinungsparagrafen vor, sondern politisch – oder mit dem normalen Strafrecht, wenn sie handgreiflich oder terroristisch agieren. Die Vorstellung, dass Prinz Harry vor Gericht gestellt werden müsste, weil er als Nazi verkleidet zu einer Party kam, wie Timothy Garton Ash kürzlich im Guardian anführte: sie hat die deutsche Initiative vollends absurd erscheinen lassen.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das sich auch angesichts der Feinde der Freiheit als unteilbar erweisen müsse, so die dahinter stehende Haltung. Das bedeutet freilich, dass hate speech jeder Art in letzter Konsequenz nicht geahndet wird – auch wenn sich die Betroffenen, gegen die gehetzt wird, dadurch mit Recht bedroht fühlen.

Es gibt für Demokratien keinen Umgang mit Holocaust-Leugnern und Fans von Nazisymbolen, der vollends zufrieden zu stellen vermag. Lässt man alles zu, toleriert man, dass aus Bedrohungsrhetorik womöglich reale Bedrohung wird. Verbietet man es, versündigt man sich am Prinzip der Meinungsfreiheit und kommt in die Lage, auch irgendwelche Spinner in den Knast stecken zu müssen, deren Verbrechen allein darin besteht, dass sie obsessiv historische Unwahrheiten vertreten – so, wie unlängst in Österreich mit dem rechtsradikalen „Historiker“ David Irving geschehen.

Jede Variante hat ihre – historische – Berechtigung, die nach Ort und Epoche wechseln kann. Es ist gut, dass die Verbotslogik jedoch nicht zur „europäischen Linie“ generalisiert wird. Wenn schon eine Generallinie, dann muss die lauten: Im Zweifel für die Liberalität. ROBERT MISIK