Das Geschäft mit den Informationen: „Sexuell oder psychologisch abhängig“
Die Internetplattform Wikileaks veröffentlicht interne Dokumente des privaten Nachrichtendienstes Stratfor. Sie geben einen Einblick in die zweifelhafte Arbeit der US-Firma.
BERLIN taz | Im Dezember 2010 veröffentlicht Wikileaks hunderttausende geheimer Diplomaten-Depeschen der amerikanischen Regierung. Die USA sind in Aufruhr. Auch beim texanischen Informationsdienstleister Stratfor schlägt die Empörung hoch. In internen E-Mails lassen Stratfor-Mitarbeiter ihren Emotionen freien Lauf. Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, hasse „Amerika mehr als Osama bin Laden“, heißt es dort. Assange, so ein anderer Mitarbeiter, sei „ein beschissener Idiot“. Sein Kopf solle in „eine volle Toilette getunkt“ werden.
Vor Hintergrund dieser Stimmungslage im Unternehmen berichtet der Vizepräsident von Stratfor, Fred Burton, seinen Kollegen von einem Gespräch mit einem „sehr guten Kontakt beim FBI“. Dem hat er laut einer internen E-Mail indirekt nahegelegt, Assange mit Hilfe gefälschter Vorwürfe gefangen zu nehmen. Die Antwort des FBI-Mitarbeiters, nicht ohne Unterton des Bedauerns: Die amerikanische Verfassung schütze Journalisten wie Assange im Übermaß.
Nachlesen kann man diese Mails nun ausgerechnet wieder bei Wikileaks. Seit Montag veröffentlicht die von Julian Assange gegründete Internetplattform nach und nach eine Auswahl interner Unternehmensdokumente – aus einem Datenpool von rund 5 Millionen Stratfor-E-Mails. In Deutschland hatte der Norddeutsche Rundfunk als investigativer Partner von Wikileaks vor Veröffentlichung dieser Daten Zugang zu den sogenannten „Global Intelligence Files“.
Private Intelligence
Informationsbeschaffer: Stratfor ist ein typisches Private-Intelligence-Unternehmen. Diese arbeiten wie die analytischen Abteilungen staatlicher Geheimdienste. Sie sammeln Informationen, verfassen Einschätzungen und Prognosen. Das klingt unspektakulär – ist aber das Kerngeschäft auch von staatlichen Nachrichtendiensten wie dem BND, der CIA oder dem MI6. Die Herausforderung besteht darin, auch in schwer zugänglichen Gebieten an konstant verlässliche Informationen zu gelangen.
Quellen: Das können öffentlich zugängliche Quellen wie Zeitungen oder das Internet sein. Wichtig sind aber vor allem menschliche Quellen, die über Auskünfte verfügen, die nicht in jeder Zeitung zu finden sind. Je verlässlicher die Informationen, desto wertvoller die Quelle. Das kann man buchstäblich verstehen. Zuverlässige Informationen sind gerade für in Krisengebieten tätige Unternehmen und Organisationen viel Geld wert.
Abnehmer: Neben Regierungen greifen vor allem Unternehmer auf die Dienste zurück, die sich über das Investitionsklima in den jeweiligen Staaten informieren wollen.
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Die Stratfor-Mails
Interne Mails: Die fünf Millionen Stratfor-Mails, die Wikileaks vorliegen, enthalten Kollegengespräche und Entwurfsfassungen von Analysen. Es werden aber auch Gespräche mit Informanten wiedergegeben, einschließlich eines detaillierten Systems der Bewertung ihrer Verlässlichkeit und Zugänglichkeit.
Sensible Infos: Es finden sich sensible Informationen, für die jeder Geheimdienst dankbar wäre. So berichten Stratfor-Analysten über Gespräche mit Quellen, die Korruptionsfälle in Brasilien oder Pakistan nahelegen, insbesondere im Militärbereich. Eine mexikanische Quelle berichtet über das Drohnenprogramm ihres Landes in Kooperation mit Israel. Informationen über einen angeblichen amerikanischen Terroristen im Jemen finden sich ebenso in den Daten wie die Aussage einer schwedischen Quelle, an den Anschuldigungen gegen Julian Assange sei „absolut nichts dran“.
Veröffentlicht: Die Stratfor-E-Mails, die auf dieser taz-Seite erwähnt sind, können Sie im Volltext einsehen unter: wikileaks.org/gifiles
Über die Herkunft der Mails schweigt sich Assange aus. „Wir reden nicht über Quellen“, sagte er bei der Präsentation in London. Ende letzten Jahr war das Unternehmen gehackt worden. Stratfor-Chef George Friedman hatte im Januar eingeräumt, dass Mails gestohlen worden seien. Aktuell nimmt das Unternehmen keine Stellung.
Neben hunderttausenden belanglosen Kollegengespräche finden sich dort auch vollständige Listen mit Quellennamen, Kundendaten und Informantenhinweise auf teils brisante Geschehnisse in allen Ländern der Welt. Die Dokumente geben somit einen Einblick in die Arbeitsweise von privaten Nachrichtendiensten wie Stratfor, die Regierungen und Konzerne mit ihren Einschätzungen beliefern (siehe Kasten).
Harmloser Informationsdienstleister
Der Informant: Bradley Manning ist der US-Soldat, der die 2010 von Wikileaks veröffentlichten 700.000 Geheimdokumente und Militärvideos weitergegeben haben soll. Ihm droht in den USA lebenslange Haft.
Die Analyse: In den von Wikileaks nun veröffentlichen Stratfor-Mails wird über Manning hergezogen. Ein Analyst schrieb, Manning solle „an die Hunde verfüttert“ werden. Oder so misshandelt, wie es Iraner mit gefangenen amerikanischen Spionen täten.
Die Prognose: Fred Burton, Vizepräsident von Stratfor, berichtet von einem „sehr erfahrenen FBI-Mann“. Der sei sich sicher, dass Manning nie der Prozess gemacht würde. Der Soldat werde dem FBI-Mann nach dauerhaft im Gefängnis „schmoren“. Ein Prozess sei im Vergleich dazu ein „riesiger Zirkus“. Burton schiebt hinterher: „Ich finde, Manning sollte zum Tode verurteilt werden.“
Nach außen hin stellt sich Stratfor als harmloser Informationsdienstleister dar. Ein genauerer Blick in die 5 Millionen Mails ergibt jedoch ein anderes Bild. Das texanische Unternehmen arbeitet den Wikileaks-Dokumenten nach wie ein privater Geheimdienst. Stratfor erlangt seine Informationen nicht nur durch die Auswertung öffentlich zugänglicher Medien wie Zeitungen oder des Internets. Das Unternehmen pflegt vor allem ein weltweites Netz an Quellen und Informanten.
In internen Listen erscheinen Informanten aller Art. Stratfor unterhält Verbindungen zu einfachen Polizisten, Fahrern und Journalisten – aber auch zu hochrangigen Informanten. So tauchen türkische Regierungsberater, US-Diplomaten im Ausland und Sicherheitsberater in Afghanistan ebenso auf wie pakistanische Geheimdienstquellen. Einige dieser Personen werden über eine vermutlich auf den den Bahamas sitzende Deckfirma und Schweizer Konten bezahlt. Hierzu dienen auch Kreditkarten, auf denen ein festes Guthaben für den jeweiligen Informanten verbucht ist.
Brisant an diesen Listen ist vor allem, dass offenbar nicht alle Quellen wissen, dass sie von Stratfor abgeschöpft werden. Die verdeckte Informationsbeschaffung ist laut den Unternehmensdokumenten zwar die „Ausnahme“. Allerdings können Stratfor-Mitarbeiter wohl selbst entscheiden, ob sie gegenüber Quellen in ihrer Funktion als Unternehmensmitarbeiter auftreten oder nicht. „Wie es uns eben passt“, schreibt Stratfor-Chef George Friedman in einer Mail zu diesem Thema an seine Analysten.
Eine weitere E-Mail von Friedman legt den Verdacht nahe, dass die Firma im Ausland mit Mitteln der Spionage arbeitet. Eine Analystin solle einen Informanten „finanziell, sexuell oder psychologisch abhängig“ machen, bis dieser seine Quellen preisgebe, heißt es darin.
Ein wachsender Markt
Stratfor steht mit seinem zweifelhaften Geschäft nicht allein. In den vergangenen zehn Jahren ist der Markt für sogenannte „Private Intelligence“-Unternehmen insbesondere in den USA massiv gewachsen. Unternehmen wie Regierung verlassen sich zunehmend auf Analysen privater Firmen. Dieser Erfolg ist vor allem erklärbar durch die milliardenschweren Aufträge, die die Regierung an Privatunternehmen vergibt. Gerade im Militär- und Sicherheitsbereich ist viel Geld zu holen. Experten schätzen, dass über die Hälfte der US-Regierungsgelder für nachrichtendienstliche Aufgaben an Privatunternehmen geht.
Die privatwirtschaftlichen Vertragspartner der amerikanischen Regierung sind für ihre Arbeit ebenso auf gute Informationen angewiesen wie ihr Auftraggeber. Das gilt insbesondere für Kriegsgebiete wie Afghanistan, Irak oder Somalia. Hierhin fließt ein guter Teil der Steuermilliarden des amerikanischen Militärapparats. Wer sich als Unternehmen in diesen Gebieten gut auskennt, hat bessere Karten, einen Teil dieses Geldes abzubekommen. Das nutzen private Intelligence-Unternehmen. Sie versorgen die private Kriegswirtschaft mit dem notwendigen Wissen, um im Kampf um die Steuerdollars mithalten zu können.
Guter Draht zu Sicherheitsbehörden und Militär
Um als Informationsdienstleister im Geschäft zu bleiben, ist ein guter Draht zu den Sicherheitsbehörden und dem Militär unabdingbar. Dementsprechend pflegt Stratfor offenbar seine Quellen in Militär, FBI oder den Nachrichtendiensten. Analysten brüsten sich mit „hochrangigen“ FBI-Quellen. Colonels der amerikanischen Armee tauchen in den E-Mails ebenso als Informanten auf wie der pakistanische Geheimdienst ISI. In den eigenen Reihen tummeln sich ehemalige Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden.
Mit der hochgradigen Vernetztheit ist bei Stratfor wohl auch das Selbstverstrauen gewachsen. In einer Nachricht an seine Mitarbeiter gibt Stratfor-Gründer Friedman damit an, besser zu arbeiten als der US-Geheimdienst CIA. Jeder im CIA-Hauptquartier in Langley wisse, dass Stratfor mit einem „Bruchteil der Ressourcen“ der CIA Dinge schaffe, zu denen der amerikanische Nachrichtendienst „niemals fähig“ gewesen sei. Das Ziel sei klar, heißt es in einer anderen Mail: Stratfor müsse nicht nur „die beste private Intelligence-Firma der Welt sein“, sondern auch „eine der besten nachrichtendienstlichen Organisationen überhaupt“.
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