: Das „Friedens“-Desaster
45.000 indische Soldaten halten sich zur Zeit nach offiziellen Angaben im Norden und Osten Sri Lankas auf – ein Gebiet, das etwa einem Drittel der Größe Bayerns entspricht. Mit dem „Friedensvertrag“ vom 29. Juli 1987 hat Sri Lankas Präsident Jayewardene dem Nachbarn Indien die Aufgabe abgetreten, „Recht und Ordnung“ in den von der tamilischen Guerilla beanspruchten Gebieten wiederherzustellen. Der Krieg gegen die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) kostet das indische Volk täglich sieben Millionen DM. Der einfache Soldat, der als „Friedensstifter“ nach Sri Lanka geschickt worden war, hat nur vage Vorstellungen darüber, gegen wen und warum er derzeit überhaupt kämpft. Die Truppen werden unterstützt durch 1.200 Männer und 100 Frauen der indischen Polizei, indische Verwaltungsbeamte und 2.000 paramilitärische Kräfte. Im Einsatz sind ferner 30 Hubschrauber der Luftwaffe, 40 Transportflugzeuge, leichte und schwere Artillerie, sowjetische T 72 Panzer mit Kanonenaufsatz, sowie zehn Schiffe der Kriegsmarine Indiens.
In dem Abkommen vom 29.7.87 ist von einer „Einladung“ der indischen Truppen durch Präsident Jayewardene die Rede, „um die Einstellung von Feindseligkeiten zu garantieren“. Ob die Truppen letztendlich lankanischem oder indischem Oberbefehl unterstehen, ist bis heute unklar. Mit ihrer am 10. Oktober begonnenen Militäroffensive haben die Inder bereits größere Opfer unter der Bevölkerung in Nord- und Ost-Sri Lanka und größere Schäden an Gebäuden vorzuweisen, als die lankanischen Streitkräfte in den vier Jahren zuvor.
Mit Ankunft der Inder auf der Insel im Indischen Ozean wurden völlig neue Kriegsschauplätze eröffnet: Im Süden mobilisiert die militante „Volksbefreiungs front“ (JVP) mit der Parole vom „Ausverkauf des Landes an eine imperialistische Macht“ singhalesischer Nationalisten. Im Osten liefern sich moslemische und singhalesische Bürgerwehren, die von Colombo aus dirigiert werden, mit der Tamilenguerilla blutige Gefechte. Der indische Geheimdienst RAW hält sich kleinere Tamilenorganisationen, gegen die wiederum die „Tigers“ wüten. Die anhaltenden Kämpfe bieten sowohl dem machtbesessenen Präsidenten Jayewardene als auch der indischen Regierung einen Vorwand, die Wahlen zu den Provinzräten, die laut Abkommen bis Ende 1987 hätten durchgeführt werden müssen, weiter zu verschieben. Sri Lankas Finanzminister Ronnie de Mel, der in baldigen Wahlen, die die Regierungsmacht dezentralisieren sollen, die einzige Chance für Frieden sieht, trat letzte Woche zurück.
Die militärische Konfrontation der „Tamil Tigers“ mit Indien und damit der mit 3,5 Millionen Soldaten viertgrößten Armee der Welt, wird in breiten Schichten auch der tamilischen Bevölkerung als Fehler angesehen. Doch gleichzeitig wird betont, daß Indien von Anfang an keinerlei Interesse an der Durchsetzung von größeren Autonomierechten für die 2,5 Millionen Tamilen Sri Lankas (Gesamtbevölkerung 16 Millionen) zeigte. Indien hat den Pakt aus höchst eigennützigen geopolitischen und Sicherheitserwägungen geschlossen. Nicht zuletzt wegen des günstig gelegenen natürlichen Hafens an der Ostküste bei Trincomalee, einem auch von den USA begehrten Flottenstützpunkt, läßt sich Delhi diesen Krieg soviel kosten. Indiens Premierminister Rajiv Gandhi, dessen politisches Überleben stark mit der Entwicklung an der Südflanke des indischen Subkontinents verbunden ist, steckt nun in einem Dilemma: kehrt Ruhe ein, müssen seine Soldaten Indien verlassen. Bleiben die „Tigers“ weiterhin aktiv, werden sich vor allem Indiens Erzfeinde im Norden (Pakistan und China) über die Eliteregimenter, die unfähig sind, mit 2.000 Guerilleros fertig zu werden, köstlich amüsieren.
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