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■ Das Europäische Parlament prüft derzeit die designierten EU-Kommissare und das eigene Selbstbewusstsein. Und in Brüssel wird manches nicht so heiß gegessen, wie es national gekocht wurde. Die Deutsche Schreyer konnte entgegen den CDU-Ankündigungen bestehen. Die siegessichere Spanierin Palacio allerdings nicht  Aus Brüssel Daniela WeingärtnerMehr Demokratie wagen

Manche innenpolitische Aufregungen, das mussten zwei Brüssel-Besucherinnen diese Woche erfahren, werden aus europäischer Perspektive ganz schnell bedeutungslos. Als „Hexenjagd“ hatte die Berliner Grünen-Politikerin Michaele Schreyer die Zweifel deutscher Oppositionspolitiker an ihrer Befähigung zur europäischen Haushaltskommissarin bezeichnet. Bei der Parlamentsbefragung am Dienstag war ihr die Anspannung anzumerken. Sie kämpfte gegen einen dicken Kloß im Hals.

Selbstbewusst und siegesgewiss reiste dagegen die Spanierin Loyola de Palacio am Montag an. Als erste Kandidatin der designierten Kommission unter Romano Prodi stellte sie sich den Fragen des für sie zuständigen Regionalausschusses. Palacio soll in der neuen Kommission zweite Vizepräsidentin neben dem Briten Neil Kinnock werden. Sie soll für Transport und Energie und für die Beziehungen zum Europäischen Parlament zuständig sein.

In ihrem Eingangsstatement machte Palacio tatsächlich eine gute Figur: Den Schienenverkehr will sie neu beleben und konkurrenzfähig machen, Infrastruktur und Dienstleistungen verbessern. Die Steuergelder der EU-Bürger, so versicherte Palacio, sollten sehr sorgfältig verwendet werden. Transparenz sei oberstes Gebot.

Für dieses Bekenntnis gab es zustimmendes Nicken bei allen Fraktionen. Dann aber machte der Labour-Abgeordnete Brian Simpson gleich die Probe aufs Exempel. Denn die ehemalige Landwirtschaftsministerin hat zu Hause in Spanien mit einem Skandal zu kämpfen. Sie soll politisch dafür verantwortlich sein, dass zwei ihrer Beamten im Landwirtschaftsministerium EU-Subventionen für Flachsanbau in Familienbetriebe abzweigten.

Die Anbaufläche für Flachs hat sich in Spanien während Palacios Amtszeit als Ministerin verdoppelt. Nach Schätzungen werden 90 Prozent der Ernte verbrannt. Inzwischen untersucht die spanische Staatsanwaltschaft auf Antrag der neuen Anti-Betrugs-Einheit der EU die Affäre.

Den Abgeordneten Simpson interessierte vor diesem Hintergrund das demokratische Selbstverständnis der ehemaligen Ministerin: „Der Subventionsskandal in Ihrem Land wird vom Staatsanwalt verfolgt. Sollten die Vorwürfe gegen Ihre Person nicht entkräftet werden, stimmen Sie dann zu, dass Ihre Position in dieser Kommission nicht mehr tragbar ist?“

Nach dieser Frage war es mit Palacios professioneller Gelassenheit vorbei. Das seien alles Unterstellungen der Opposition, hielt sie gegen. Wahlkampfgeschrei gegen die derzeitige Regierung. Der Bericht der Untersuchungskommission habe sie von politischer Verantwortung freigesprochen. Konsequenzen für ihre Arbeit in Brüssel sehe sie in keinem Fall.

Mit dieser Antwort, die Palacio auf Nachfragen mehrfach wiederholte, war das Parlament nicht zufrieden. Anschließend stellten auch Parteifreunde aus den Reihen der konservativen Volkspartei die Frage, ob eine Kandidatin mit einem derartig ausgeprägten demokratischen Bewusstsein ausgerechnet für die Beziehungen zwischen Kommission und Parlament zuständig sein sollte.

Der Ausschuss hatte sich vorab geeinigt, nicht über die Kandidatin abzustimmen. Da die Kommission als Ganzes am 16. September in Straßburg vom Europäischen Parlament akzeptiert oder abgelehnt werden muss, hätte eine solche Abstimmung ohnehin keine Beschlusskraft. Es wurde aber ein Meinungsprotokoll für das Plenum verfasst, in das die Bedenken gegen die Spanierin aufgenommen wurden.

Michaele Schreyer dagegen, die alles andere als siegesgewiss nach Brüssel gekommen war, sah sich nicht mit persönlichen Fragen konfrontiert. Der für sie zuständige Haushaltsausschuss interessierte sich vor allem für ihre fachliche Eignung. Sogar CDU-Politiker räumten hinterher ein, die Grüne sei gut vorbereitet gewesen. Man solle ihr eine Chance geben, sich zu bewähren, meinte gönnerhaft der Vorsitzende der europäischen Christdemokraten, Hans-Gert Pöttering, vor laufenden Kameras.

Pötterings Urteil zeichnet die Haltung vor, die das Parlament in Straßburg nächste Woche einnehmen könnte. Der neue Amsterdamer Vertrag gibt den Abgeordneten nur zwei Möglichkeiten: Sie können Prodis Team insgesamt ablehnen oder als Ganzes akzeptieren. Prodi hat bereits angekündigt, dass er nur dann bereit ist, von sich aus einen Kandidaten auszutauschen, wenn die Befragungen neue Fakten über eine Person ans Licht bringen.

Dann müssten allerdings die Verhandlungen mit dem Herkunftsland und die Anhörungen im Parlament von vorn beginnen. Das Machtvakuum, das der Rücktritt der Santer-Kommission gerissen hat, würde weiter verlängert. Das will auch das Parlament nicht. Deshalb werden die Abgeordneten versuchen, mit Prodi kleine Änderungen am Zuschnitt der Ressorts auszuhandeln. Und sie wollen nicht, dass ausgerechnet die durch eine Affäre vorbelastete Loyola de Palacio für den Dialog zwischen Kommission und Parlament zuständig ist. Die Frage bleibt spannend, ob Prodi hier Konzessionen machen wird, um seine Mannschaft durchzubekommen.

In einem anderen Punkt dürfte er aber hart bleiben: Das Parlament möchte Ende des Jahres ein zweites Mal über die neue Kommission abstimmen. Zu diesem Zeitpunkt wäre eigentlich das Mandat der alten Santer-Kommission ausgelaufen. Für die Parlemantarier eine ideale Möglichkeit, die Neuen vier Monate lang an der ganz kurzen Leine zu führen. Prodi hat aber schon bei seiner Nominierung deutlich gemacht, dass er die Abstimmung am 16. September als gültiges Ticket für die nächsten fünf Jahre betrachtet.

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