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Das Ende von Aggro BerlinAdieu, Staatsfeind Nr. 1

Das Rap-Label Aggro Berlin machte Sido und Bushido groß und Jugendschützer wild. Jetzt macht es dicht.

Rapper Sido mit Maske: Früheres Aushängeschild des Labels Aggro Berlin. Bild: dpa

„Den Leuten fällt es auf, wir reden ständig über Scheiße, egal ob flüssig, fest, braune oder weiße.“ So klingt der „Arschficksong“ von Sido, veröffentlicht auf dem Aggro Berlin Sampler „Aggro Ansage Nr. 1“. Das Berliner Rap-Label hatte eine klare Agenda. „Hiphop ist aggro. Aggressivität ist ein Grundpfeiler unserer Kultur“, sagte Gründer Specter. Und damit traf Aggro Berlin einen Nerv.

Künstler wie Sido, Bushido, Fler oder B-Tight, die die Plattenfirma vertrat, wurden nationale Größen, gewannen Echos, Cometen und Bravo-Titelstorys und verkauften Millionen Platten. Nun schließt Aggro Berlin. Auf der Homepage des Labels ist ein Grabstein zu sehen, davor ragt ein knöcherner Arm mit ausgestrecktem Mittelfinger aus dem Boden. „Unsere Künstler können auf eigenen Füßen stehen“, schreibt das Label in einem Abschlussstatement.

Für besorgte Eltern, Lehrer und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien war Aggro Berlin Staatsfeind Nummer 1. Stattliche sieben Indizierungen heimste das Label ein. Im Musikvideo zum „Weihnachtssong“, das erstmalig landesweit Aufmerksamkeit erregte, bringt ein als Nikolaus verkleideter Sido kleinen Kindern Geschenke, trinkt, kotzt und ermordet den echten Weihnachtsmann.

Für die Soziologin Gabriele Klein, Autorin eines Buches über Hiphop, ist der Erfolg von Aggro Berlin nicht überraschend. „Das Label hat es erfolgreich geschafft, sich als Marke zu etablieren.“ Dass die bekannten Rapper von Aggro Berlin mittlerweile alle bei großen Plattenfirmen wie Universal sind, ist für sie ebenfalls nicht verwunderlich. So funktioniere die Kulturindustrie, unabhängig von den Inhalten. Aber auch, wenn Seximus und Gewalt erschreckende Themen seien, dürfe man nicht vergessen, dass Provokation im Selbstverständnis des Rap eine künstlerische Ausdrucksform sei. Rapmusik animiere zudem nicht unmittelbar Jugendliche zum Drogenkonsum oder zur Gewaltanwendung, denn diese Handlungen müssen erst einmal „lebensweltlich relevant sein. Ein Song allein reicht nicht“, sagt Gabriele Klein.

Aus der Untergrund-Bewegung, aus der Aggro Berlin 2001 entstanden ist, ist längst eine Industrie geworden. Bushido füllt mittlerweile locker die O2-Arena in Berlin, schreibt eine Autobiografie und dreht einen Film über sich. Sido tritt bei „Popstars“ als Jurymitglied auf und darf bei Stefan Raab auf der Couch sitzen. Mittlerweile rappt Sido sogar darüber, dass man seinen Arsch bewegen und sich ein Ziel setzen soll, denn „ohne Fleiß kein Preis.“

An der Vereinnahmung durch die Kulturindustrie scheiterte Aggro Berlin am Ende. Bushido verließ das Label 2004 nach Differenzen über seine persönliche Zukunft. Nach monatelangem Streit trennte sich 2009 auch Fler von der Firma, weil er „businessmäßig mit denen nicht zufrieden war“. Nachdem auch „der Neger“ B-Tight wohl das Label verlassen hatte, sahen die drei Gründer keine Zukunft mehr. Und verabschieden sich gewohnt aggro: „Wenn ihr zu Musik von uns zum ersten Mal gekifft, geklaut oder gefickt habt, sind wir für immer!“

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11 Kommentare

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  • GD
    Gerald Deckert

    Gangsta-Rap wird am meisten von verwöhnten Mittelschicht-Kindern geschätzt.

    Die finden bestimmt bald eine neue Sau, die sie durchs Dorf treiben können.

    Schade um die Rapper-Clowns ist es wirklich nicht.

    "Isch bin so oin rischitscha Gängsta" muss man wirklich nicht hören.

  • K
    Kulturist

    > Was unterscheidet Bushido mit seinem

    > Schwulen- und Frauenfeindlichen und

    > gewaltverherrlichenden Liedern von

    > den gleichen Lieder die von Neonazis

    > gesungen werden?

     

    Den Neonazis geht es um die Etablierung der Nation als Reich, den Hoppern geht es um Provokation und Plattenverkäufe!

     

    > Warum scheint der eine "Kultur" zu sein

    > und die anderen eine Gefahr?

     

    Weil der EINE DIREKT politisch beeeinflusst und der ANDERE nur Geld macht und dabei überhaupt nicht politisch beeinflusst!

     

    Ist das so schwer?

     

    Ich sehe eher das Problem darin, Bushido als "Kultur" zu bezeichnen? Ich betrachte Bushido eher als banale, kommerzielle heiße Lust ohne großen kulturen Anspruch!

     

    Keine Angst, Bushido und Sido & Co haben im Endeffekt garkein Einfluss auf die Kinder und Jugendliche, die nach Sido und Bushido, häufig gar DIREKT DANACH, "Ich hab dich lieb" von Häschen "Kuschel" hören und DANACH DSDS gucken! Zu ALLEM, zu Sido, Kuschel und DSDS feiern oder "chillen" sie völlig gedankenlos ab, als wäre Musik nur ein Gedöns, was im Hintergrund plätschert. Im Endeffekt ist populäre Musik im 21. Jhd., bei aller Reizüberflutung genau das geworden; heiße Luft, Bullshit, sinnlos und belanglos!

     

    Wer von "Einfluss" redet, überschätzt Gangsterrap im 21. Jhd. total! Wer redet heute noch über Sido? Über "Kuschel" redet schon jetzt keiner mehr! Wie heißt es jetzt? "Ich liebe dich, obwohl du scheiße bist?"

     

    Im Übrigen ist z.Zt. "High School Musical" IN, oder ist das inzwischen auch schon wieder nur noch heiße Luft?

     

    Wie war das? You must be Emo? Ohje...

  • S
    SgtAwesome

    "Bushido und Neonazis zu vergleichen ist auch schon bischen peinlich."

     

    Nunja, ich habe keinen Vergleich sondern eine Frage (bzw. mehrere) von Adam gelesen.

     

    Und ich muss gestehen, die Antwort auf die Fragen:

     

    "Was unterscheidet Bushido mit seinem Schwulen- und Frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Liedern von den gleichen Lieder die von Neonazis gesungen werden?

     

    Warum scheint der eine "Kultur" zu sein und die anderen eine Gefahr?"

     

    interessiert mich schon.

    Denn was bleibt wirklich tauscht man die fiktiven Opfer- und Täterrolen in den Liedern aus? Und warum wird dem einen auch noch der Status von Kultur zugesprochen?

    Ist Gewalt gegen Schwächere legitimiert wenn sie aus dem "Untergrund" kommt?

  • E
    Erik

    Jemand hat es schon geschrieben, wenn man keine Ahnung hat, einfach mal....

     

    Bushido und Neonazis zu vergleichen ist auch schon bischen peinlich. Wer nicht zwischen den Zeilen lese kann, sollte besser auch keine Kommentare dazu abgeben.

  • R
    Rapfan

    1. heißt spencer specter und ist nicht der alleinige gründer, sondern einer der mitbegründer des labels aggro berlin

     

    2. lediglich sido hat während seiner zeit bei aggro berlin erwähnte plattenverkäufe und erfolge erreicht. bushido erst NACH dem verlassen des labels und die beiden anderen küsntler haben weder millionen platten verkauft noch titel gewonnen!

     

    3. bushido füllt nicht "locker" die O2 arena, sondern hat ein GRATISkonzert in der O2 arena veranstaltet. wen wunderts dass die halle bei einem gratiskonzert "ausverkauft" ist?

     

    ich belass es mal bei den worten von dieter nuhr, wenn man keine ahnung hat, einfach mal ...

     

    vllt. sollte sich die taz mit billigen fotomontagen beschäftigen als mit deutschen rap!

  • F
    Frank

    Der gute Herr Gründer heißt Specter, nicht Spencer.

  • S
    schlaubi

    hm, bei dem datum 1.4.09 drängt sich mir der verdacht auf das es sich nur um einen scherz bzw. einen gut platzierten pr stunt handelt...

  • U
    unwichtig

    hauste rein aggro...

    war nett mir dir!!!

  • D
    Dichter

    Was denn nun? Ist doch nur konsequent: Sie waren nicht ganz dicht und machen jetzt dicht.Man würde sich dies auch von manch Anderem wünschen - aus dem benachbarten politischen Bereich zum Beispiel.

  • H
    Ähm

    Hat Aggro Berlin diese Nachricht nicht am 1.4. in die Welt gesetzt? *hust*

  • AP
    Adam Potocki

    Was unterscheidet Bushido mit seinem Schwulen- und Frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Liedern von den gleichen Lieder die von Neonazis gesungen werden?

     

    Warum scheint der eine "Kultur" zu sein und die anderen eine Gefahr?

     

    Liegt es daran, dass Bushido einen Migrationshintergrund hat und für manch einen Gutmenschen per se gut ist?

     

    Warum diese Doppelmoral? Was ist in diesem Land los?