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Das Ende des Regimes in LibyenFehlt nur noch Gaddafi

Die Rebellen stehen vor der Residenz des Despoten. Wo sich Gaddafi aufhält, ist unklar. Mitglieder des Nationalen Übergangsrats sind auf dem Weg von Bengasi nach Tripolis.

Einzug der Rebellen in Tripolis. Bild: reuters

TRIPOLIS afp/dpa/dapd | Sechs Monate nach Beginn des Aufstands gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi sind die Rebellen bis an die Tore seiner Residenz vorgedrungen. Die Hauptstadt Tripolis sei fast vollständig erobert, der Nationale Übergangsrat habe sich auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, sagte der Chef des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdel Dschalil am Montag. Der Aufenthaltsort Gaddafis sei unklar, zwei seiner Söhne seien jedoch gefasst worden.

Nach Meinung der USA hält sich Gaddafi weiterhin in Libyen auf. "Wir haben keine Informationen darüber, dass er das Land verlassen hat", sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, David Lapan, am Montag vor Reportern in Washington, wie der Nachrichtensender CNN berichtete.

In der Nähe von Gaddafis Residenz Bab el Asisija wurde den ganzen Tag heftig gekämpft, wie ein AFP-Reporter berichtete. Ein Diplomat sagte, Gaddafi befinde sich noch immer in der weitgehend zerstörten Residenz. Dschalil sagte dagegen, der Aufenthaltsort des Machthabers sei nicht bekannt. Gaddafis Zeit sei "abgelaufen", die Rebellen wollten ihn aber lebend fassen, damit er vor Gericht gestellt werden könne. Dschalil rief die Rebellen auf, keine Rache an den Anhängern Gaddafis zu nehmen. Sonst werde er von seinem Posten zurücktreten.

Auch in weiteren Vierteln von Tripolis und nahe des Hafens wurde Augenzeugen zufolge gekämpft. Die Rebellen waren am Samstagabend mit Unterstützung der Nato von mehreren Seiten in die Hauptstadt eingedrungen. Ohne auf großen Widerstand zu stoßen, waren sie rasch vorgerückt. In der Nacht zum Montag erreichten die Aufständischen den Grünen Platz. Tausende Einwohner feierten auf dem symbolträchtigen Ort, den sie in Platz der Märtyrer umbenannten, ihren Erfolg. Auch in der Rebellenhochburg Bengasi gab es bereits Siegesfeiern.

Mitglieder des Nationalen Übergangsrat machten sich von Bengasi auf den Weg nach Tripolis. Nach Angaben Dschalils nahmen die Rebellen Gaddafis Söhne Mohammed und Seif el Islam gefangen. Letzterer galt als möglicher Nachfolger seines Vaters. Der Internationale Strafgerichtshof sucht ihn ebenso wie seinen Vater wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Gericht bestätigte die Festnahme, laut einem Gerichtssprecher wurde bereits mit den Rebellen über eine Überstellung nach Den Haag verhandelt.

Sondersitzung der EU-Botschafter

Die Botschafter der EU-Länder treffen sich am Dienstag zu einer Libyen-Sondersitzung in Brüssel, wie am Montag aus Kommissionskreisen verlautete. Besprochen würden alle relevanten Fragen, sagte ein Sprecher von EU-Chefdiplomatin Cathrine Ashton. Die EU hatte dem Nationalen Übergangsrat und der Bevölkerung am Montag bereits Unterstützung für den Wiederaufbau nach dem Ende des Regimes von Muammar al Gaddafi zugesagt. Ein erster Schritte könnte die Freigabe eingefrorener Konten von Ölfirmen und Banken sein. Zudem will Brüssel in Tripolis eine diplomatische Mission einrichten, sobald dies die Sicherheitslage zulässt.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu will an diesem Dienstag in die libysche Rebellenhochburg Bengasi fliegen. Dort wolle er mit Vertretern des nationalen Übergangsrates der Aufständischen über die aktuelle Lage sprechen, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. "Heute ist ein historischer Tag", sagte Davutoglu, der sich zu einem Besuch in Äthiopien aufhielt. "Das neue Libyen sollte ein demokratischer, freier und geeinter Staat sein, wie es die Bürger fordern." Seine Reise nach Bengasi trete er als Vertreter der internationalen Libyen-Kontaktgruppe an.

Rücktrittsforderungen von überall

Zahlreiche Regierungsvertreter haben Gaddafi geschlossen zum Rücktritt gedrängt. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, solle er die Macht abgeben und sich dem Internationalen Strafgerichtshof stellen, hieß es aus verschiedenen Hauptstädten Europas. "Die Zeit des Diktators ist vorbei", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Montag in Berlin. Dem libyschen Übergangsrat sagte er deutsche Unterstützung beim Wiederaufbau der Wirtschaft sowie beim Übergang in die Demokratie zu.

US-Präsident Barack Obama forderte Gaddafi am Sonntag auf, die Realität zu akzeptieren. "Der sicherste Weg, ein Blutbad zu verhindern, ist einfach: Muammar al Gaddafi und sein Regime müssen anerkennen, dass ihre Herrschaft geendet hat", sagte Obama. "Die Zeit ist abgelaufen", sagte der italienische Außenminister Franco Frattini am Montag. "Er hat keine andere Möglichkeit, als sich zu ergeben und sich der Justiz zu stellen." Sollte Gaddafi nicht aufgeben, sei er allein für das Blutbad verantwortlich, sagte Frattini im Fernsehsender Sky Italia. Italien entsandte ein Expertenteam in die Rebellenhochburg Bengasi, das die Planungen für den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Öl- und Gasproduktion unterstützen soll.

Widerstand schlage den Rebellen größtenteils nicht mehr von Gaddafi-treuen Libyern entgegen, sondern überwiegend von ausländischen Söldnern, sagte der britische Verteidigungsminister Liam Fox dem Radiosender der BBC. Gleichzeitig bestätigte Fox, dass die Nato-Mission in Libyen vorläufig fortgesetzt werde.

Die französische Regierung begrüßte die Fortschritte der Aufständischen im Kampf gegen die libyschen Regierungstruppen. Gaddafi solle "zurücktreten und seine Truppen zur Waffenruhe auffordern, um unnötiges Leid zu vermeiden", hieß es in einer Stellungnahme aus dem Büro von Präsident Nicolas Sarkozy.

Auch die Organisation der Islamischen Konferenz beglückwünschte das libysche Volk für den "Erfolg seiner Revolution". Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil el Arabi, erklärte seine "volle Solidarität" mit den Rebellen.

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