: Das Auto als Frauenfeind
■ Kleine, aber feine Ausstellung eröffnet: "Mobilität der Frauen in Charlottenburg" / Die Windschutzscheibenperspektive der männlichen Verkehrs- und Stadtplaner
Verkehrssenator Herwig Haase steht an der Bismarckstraße neben mir und macht heididei mit seinem drei Monate alten Enkelkind. „Tja, Herwig“, sage ich zu ihm, „jetzt zeige ich dir mal deine dolle Ampelschaltung. Wenn man nicht rennt, wird das Kind vergiftet, weil man auf dem Mittelstreifen strandet. Wenn man rennt, wird man nur selbst vergiftet und nicht der Nachwuchs.“ Sobald die Fußgängerampel grünes Licht zeigt, hetzen wir wie die besengten Säue über die Fahrbahn, ich mit meinem Sohn im Buggy, er mit dem Kinderwagen. Hechelnd, die Lunge voller Abgase, erreichen wir die rettende Bordsteinkante auf der anderen Seite der sechsspurigen Ausfallstraße. „Ich habe verstanden“, japst der Senator, „ich werde die Grünphase für Fußgänger sofort verlängern lassen.“
So oder ähnlich sind meine Phantasien, wenn ich täglich zweimal die Bismarck-Autobahn überquere, um mein Gör zur Kita zu bringen oder dort abzuholen. Ampelschaltungen? Natürlich sind das Marginalien. Die täglichen Ärgernisse, die man schon selber verdrängt, um nicht wütend in den Tag zu stiefeln. Vom gleichen Stellenwert wie die Stinker, die ihr Auto auf dem Gehweg geparkt haben und uns beim Starten ihre Duftmarke ins Gesicht blasen. Um so erfreuter war ich, daß eine im Rahmen des „Charlottenburger Frauenfrühlings“ am Mittwoch abend eröffnete Exposition im Rathaus Charlottenburg just diese ganzen Nebensächlichkeiten thematisiert, die in der Summe den heutigen Verkehrsterror ausmachen. „Mobilität der Frauen in Charlottenburg“ heißt die kleine, aber feine Ausstellung, die noch bis 31. März zu besichtigen ist.
Im Auftrag der bezirklichen Frauenbeauftragten Brigitte Kippe und im Rahmen eines ABM-Projektes haben drei Frauen dafür anderthalb Jahre recherchiert. Unter anderem werteten sie 540 von Charlottenburgerinnen ausgefüllte Fragebögen und drei Rundgänge aus, die Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) mit Anwohnerinnen unternahm und „unwahrscheinlich beeindruckend“ fand. Fußgängerfeindliche Ampeln, unbeleuchtete Straßen, fehlende Bänke – das sind für die SPD-Politikerin „die kleinen Details, die ganz wichtig sind“. Bürgermeisterin und Frauenbeauftragte wollen das Material nun in die zuständigen Gremien tragen, um „das Verwaltungshandeln frauenfreundlicher zu machen“.
Wie schwerwiegend diese sogenannten Details sein können, berichtete Ausstellungsmacherin Nadine Klingspor an einem Beispiel. Nur weil ihr Kind in den Hort kam, mußte eine Kollegin von ihr zeitweilig Beruf und Karriere aufgeben. Denn den Weg von der Schule zum Hort kreuzen zwei Hauptverkehrsstraßen, die das Kind nicht allein überqueren konnte. Also mußte sie mittags losrennen, der ganze Arbeitstag war zerhackt. Überhaupt, so ist aus der Ausstellung zu lernen, müssen Frauen immer mehr Zeit für die sogenannte Begleitmobilität opfern, um ihre Kinder oder auch ihre alten Eltern nicht dem Verkehr auszuliefern: „Die Zeit, die die Auto fahrenden Männer gewinnen, verlieren die Frauen.“ Der Anteil der zu Fuß oder per PKW begleiteten Sechsjährigen lag 1975 bei 10 Prozent, 1984 schon bei 31 Prozent. Mütter fahren ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, um sie vor den Autos zu schützen – auf der Flucht vor dem Verkehr steigt der Verkehr immer weiter an. Doch in der verengten „Windschutzscheibenperspektive“ der zumeist männlichen Verkehrs- und Stadtplaner kommen diese Probleme kaum vor.
Erstes Ergebnis: Auf jedes Charlottenburger Kind kommen gerade mal 34 Quadratzentimeter Spielfläche, aber 26 Quadratmeter Verkehrsfläche. Zweites Ergebnis: Entlang der Bismarck- und den anderen Ausfallstraßen, das ergab eine in der Ausstellung präsentierte Umfrage, häufen sich die „Miesfühlorte“. Vielleicht sollte ich also doch mal den Verkehrssenator zum Ampelrennen über die Bismackstraße einladen. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen