■ Das Atomkraftwerk in Tschernobyl geht wieder in Betrieb: Tanz auf dem Vulkan
Hei, was 'ne Gaudi. Der Sensenmann und seine Combo spielen zum Tanz auf. In Tschernobyl geht morgen einer der vier Katastrophenreaktoren wieder ans Netz und hält die Welt in Atem. Schwindelig dürfte bei dem Tanz auf dem Vulkan sogar der westeuropäischen Atomindustrie werden. Die Ukrainer fordern sie barsch zu einer Polka auf, bei der den Atom-Wessis am Ende leicht die Luft ausgehen kann. Sie wissen, den nächsten großen Ausbruch überleben sie nicht.
Jetzt spielt die Combo aber erst einmal, und die Westindustrie kann sich nicht verweigern. Drei Jahre lang hat sie schließlich um den Osten geworben. Mit Reparatur- und Neubauaufträgen sollten die Osteuropäer die Auftragsbücher der Westkonzerne füllen. Bezahlen könnten sie ja mit Energie, hieß es im Zweifel. Die einzige Ostware, bei der keine Qualitätsprobleme existierten.
Die Schüler der neuen Marktwirtschaft haben besser begriffen, als den Atommanagern im Westen lieb sein kann. Energie ist Energie, Geld stinkt nicht, und Zynismus gehört zum Geschäft. Die Inbetriebnahme von Tschernobyl hat nichts mit dem Energienotstand im Osten zu tun. Der forsche Partner beim ball nucleaire, die Atommafia aus der Ukraine, rechtfertigt die Inbetriebnahme des Meilers vielmehr ganz unverhüllt mit dem Strom, den seine neue Republik nach Österreich liefern muß — zur Bezahlung von Atomtechnik-Importen. Die Zwillingsschwester der Atomindustrie, die westliche Strommafia, hat den Tanz selbstlos abgetreten. Et pacta sund servanda.
Noch ein weiteres hat die östliche Atommafia gelernt. Es ist lebensnotwendig, sich die Rolle als Staat im Staate zu erhalten, will man die Lebensfähigkeit der eigenen Industrie erhalten. Man demonstriert Eigenständigkeit. Die Reaktorbetreiber in der Ukraine fordern in dem immer größer werdenden Durcheinander der GUS-Republiken ihre Regierung ganz ungeniert heraus. Ein kleiner Betriebsdirektor schaltet das AKW an, und verkündet frech, seine Regierung in Kiew liege falsch, dieses Atomkraftwerk werde ja gebraucht.
Kein Einzelfall: Ein Kenner der östlichen Atomszene berichtet von einem Kontrollbesuch in einer der neuen Republiken. Herzlich habe der Ministerpräsident eingeladen, die Reaktoren zu begutachten, freundlich die westlichen Gäste begrüßt. Doch an den Toren des Atomkraftwerks, da ließ sie keiner hinein. Zum Trainingsprogramm der westlichen Atommanager für ihre östlichen Kollegen gehörte auch ein Merksatz — keine Diskussion mit kritischen Wissenschaftlern. Gut gelernt vom Westen. Hermann-Josef Tenhagen
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen