Daniel Cohn-Bendit zu den Krisen der Zeit: „1968 schien alles möglich“

Daniel Cohn-Bendit, Aktivist schon im Pariser Mai '68, über die Politiken im Zeichen des Klimawandels.

Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit

Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer üben sich in Geduld. Foto: Foto: Frank Kleefeldt/dpa

taz lab, 16.04.2023 | Von JAN FEDDERSEN

taz lab: Unser Motto ist dieses Jahr „Zukunft & Zuversicht“. Sie als alter Revolutionär, Akteur im Pariser Mai 68: Liegen wir richtig oder leben wir in Zeiten der Apokalypse?

Daniel Cohn-Bendit: Einerseits, andererseits. Zum Glück bin ich nicht nur ein Akteur von anno dazumal. Ja, 1968 schien alles möglich: Anarchie ist machbar, Herr Nachbar. Deswegen ist es schwierig, nach dem, was wir heute wissen, über Klimawandel, Krieg – nicht nur den gegen die Ukraine – von unendlicher Hoffnung zu sprechen.

Klingt nach einem heftigen Jedoch zwischen Ihren Zeilen.

Daniel Cohn-Bendit mit Fahrrad

Auch bekannt als "Dany le Rouge“, Jahrgang 1945, ist einer der bekanntesten Köpfe der Studierendenbewegung der 60er Jahre. Er ist Publizist, Analyst und Aktivist. Foto: Georg Kumpfmüller

Ja, weil ich der Meinung bin, dass man eine wohlbegründete Skepsis, ja, Hoffnungslosigkeit aufgrund der Verhältnisse trotzdem überwinden kann, wenn man den Fähigkeiten der Menschen vertraut, ein besseres Leben zu erkämpfen – auf ihre je eigene Art. Wenn man so an das Problem der Langsamkeit vieler Prozesse herangeht, empfindet man weniger Trostlosigkeit.

Der Pariser Mai 68, der Sie über die alternative Szenen hinaus berühmt gemacht hat, ist ja nun seit mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Wie sind Sie mit Ihrer politischen Wachheit seither über die Runden gekommen?

Indem ich eben wach geblieben bin. Meine Lebensmaxime entspricht dem jüdischen Witz: Wenn du zwei Möglichkeiten hast, wähle immer die dritte.

Was wäre denn eine dritte Möglichkeit?

Nicht vor der Realität zu flüchten. Aber sie nicht blind bekämpfen.

Und das heißt?

Die ganze Erfahrung unserer Fehler zu bündeln, um zu versuchen, sie in der jetzigen Auseinandersetzung nicht zu wiederholen. Das bedeutet, dass wir die notwendigen Schritte vor lauter ideologischen Festlegungen nicht überspringen dürfen. Der ökologische Wandel wird nur dann gelingen, wenn wir uns der Ängste und Probleme der Menschen annehmen, die diese bewerkstelligen müssen.

Heißt es nicht immer: „Man muss alle mitnehmen“?

Ein blöder Satz, der vor Sinnlosigkeit kaum zu übertreffen ist. Wir müssen die Geschwindigkeit der Veränderungen akzeptieren, uns aber auch ein wenig in Geduld üben, wenn es bei allen nicht immer so schnell geht.

Daniel Cohn-Bendit spricht beim taz lab um 9 Uhr in der Kantine mit taz-Redakteurin Anja Krüger.

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