Daimlers Wortbruch auf Raten

Es war eine kleine Sensation, als am 19.1.86 die Daimler–Benz AG am Vorabend des hundertjährigen Firmenjubiläums die Zwangsarbeiter–Frage thematisierte. Sensationell war weniger, daß sie es tat, das eigentlich Erstaunliche war der Wortlaut der Erklärung: Man finanziere eine historische Studie zur Zwangsarbeiter–Frage und werde bei Abschluß der Forschung die Ergebnisse einer „Wertung“ unterziehen, bei der „eine Entschädigung nicht nur unter juristischen Aspekten geprüft“ werde. Zum ersten Mal hatte eine deutsche Firma, zudem gerade das Flaggschiff der Industrie, den Begriff „Entschädigung“ akzeptiert. Firmen wie Rheinmetall oder Krupp, die mühsam zu Zahlungen erpreßt werden mußten, haben immer unter dem Begriff „humanitäre Hilfen“ schließlich gespendet, um jeden Rechtsaspekt zu vermeiden. Zudem wurden die Zahlungen verknüpft mit historischen Forschungsergebnissen, d.h. mit dem tatsächlichen Umfang der Sklavenarbeit. Diese Formulierung löste denn auch sofort schweigendes Entsetzen bei anderen Firmen, z.B. beim Konkurrenten BMW aus. Im Bundestag kam die Zwangsarbeiter–Frage auf die Tagesordnung, und einige Wochen zuvor hatte sich die Deutsche Bank gezwungen gesehen, durch 5 Mill. DM für die Claims Conference die Übernahme des Flick–Imperiums international abzusichern. Daimler Benz ging davon aus, daß mög licherweise die kostspielige Firmenshow „Hundert Jahre Automobil“ durch Entschädigungsforderungen vor allem aus den USA vergiftet werden könnte. Archiv gesperrt Gleichwohl waren nicht nur Skeptiker mißtrauisch. Gerade die Verknüpfung der Entschädi gungsfrage mit der historischen Forschung ist der Pferdefuß. Das Unternehmen hat das eigene Firmenarchiv mit einer Sperrfrist von 60 Jahren belegt (das Bundesarchiv Koblenz hat eine Sperrfrist von 30 Jahren). Die Liste der abgewiesenen Historiker reicht vom renommierten Zwangsarbeiter– forscher Ulrich Herbert bis zum Ludwig–Uhland–Institut. Gleichzeitig finanziert und priviligiert der Konzern eine Hofgeschichtsschreibung durch die „Gesellschaft für Unternehmengeschichte“ (GUG) in Köln. Die GUG ist vor elf Jahren gegründet worden. Im Vorstand sitzt der Konzernchef Breitschwerdt. Die Tätigkeit des GUG wird von Historikern als „Gefälligkeitsforschung“ (Bernstorff) oder als „Wahrheitsverhinderungsinstitut“ ( Herbert) bezeichnet. Die jetzt im Rahmen der Firmenforschung des GUG erschienene Dokumentation „Die Daimler–Benz AG in den Jahren 1933–1945“ von Pohl/Habeth/ Brüninghaus ist eine haarsträubende Apologie. Die Dokumente wurden solange gestutzt, bis sie bestätigten, daß die Firmenleitung mit dem Nazistaat nur deswegen zusammenarbeitete, um Schlimmeres zu verhüten. Von diesem Institut ist kaum zu erwarten, daß bestätigt wird, was Karl–Heinz Roth von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte mit präziser Aktenkenntnis erklären kann: „Der Konzern war seit Jahren auf der Jagd nach Arbeitskräften. Und für ihn wurde es 1940/41 völlig selbstverständlich, diese Jagd auf Zwangsarbeiter, auf polnische, später auf russische Zwangsarbeiter, auf KZ– Häftlinge, auf jüdische Zwangsarbeiter auszuweiten...Die Initiative ging vom Konzern aus - nicht vom Staat.“ 123 Lager „hatte“ Daimler, „beschickt“ wurden sie beispielsweise von den KZs Natzweiler–Strutthof, Sachsenhausen und Mauthausen. Tunnelprojekte mit Code–Namen „Goldfisch“ (Gipsgrube Obrigheim) sind nie nur Orte der bloßen Sklavenarbeit, sondern Stätten der „Vernichtung durch Arbeit“ gewesen. Daimler gibt 31.000 Sklavenarbeiter zu. Fachleute rechnen mit mindestens 50.000. Verschleppungstaktik Was ist seit der Ankündigung vor einem Jahr geschehen? Die Antwort Nichts wäre euphemistisch. 15 ehemalige Sklavenarbeiter sollen sich gemeldet haben (sechs bei der Stuttgarter VVN). Sie wurden mit einem Standardbrief abgefertigt: Es sei „keine individuelle Entschädigung beabsichtigt, sondern ein allgemeiner Fonds soll eingerichtet“ werden. Allerdings bedürfe es noch „umfangreicher (!) Forschung in in– und ausländischen Archiven“. Bei der GUG sei „die Sache“ noch „in der Prüfung“. Termine werden nicht genannt. „Monitor“ hatte jetzt Konzernchef Breitschwerdt angetelext und um ein Interview gebeten. Antwort: Ein Interview–Bedarf bestehe nicht. Kurz danach rief allerdings die Pressestelle der Deutschen Bank an und erkundigte sich nach dem Inhalt der „Monitor“– Sendung. Sensibilität und Elefantenhaut. Der Konzern spielt auf Zeit und stellt sich taub. Vorbild ist sicherlich der Bundestag der letzten Legislaturperiode. Klaus Hartung