: Daimler-Motor Mercedes-Benz kann die Drehzahl halten
Fahrzeugbau-Tochter bleibt für den Konzern-Multi der Quell des Reichtums/ Autos sorgen für Gewinne/ Mit der S-Klasse gegen ein ramponiertes Image ■ Aus Stuttgart Erwin Single
Es waren schwere Zugmaschinen besonderer Art, die zuletzt tiefe Kratzspuren an der stets polierten Fassade der Stuttgarter Automobilbauer hinterlassen hatten. Mitte März hatten 120 Fahnder die Daimler-Tochter Mercedes-Benz zu einer Durchsuchungsaktion heimgesucht und einen schweren Verdacht gegen den Nobelkarossenhersteller erhoben: 26 Mercedes-Tieflader sollen in einem dunklen Rüstungsdeal in den Irak gewandert sein. Diese könnten, hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) die Bundesregierung gewarnt, dort als Abschußrampen für Boden-Boden-Raketen dienen. Der Stern als Motor aller Schlachten — die Führungsgarde um den dünnhäutigen Konzernchef Ezard Reuter war aufgeschreckt; das blitzsaubere Image in der Öffentlichkeit ramponiert. Scharf werden die Vorwürfe als Hysterie zurückgewiesen — so auch von Mercedes-Chef Werner Niefer. Die Stuttgarter sind bemüht, den durch die Verdachtsmomente entstandenen nationalen und internationalen Schaden gering zu halten.
Dabei hatten die Autolenker gerade wieder Fuß gefaßt. „Auch unter erschwerten Bedingungen hat Mercedes-Benz die Spur gehalten“, erklärte Mercedes-Vize Helmut Werner bei der gestrigen Bilanzkonferenz. Das Fahrzeuggeschäft erlebte 1990 nach einem miesen Vorjahr eine Renaissance — und das nicht nur in Deutschland. Mercedes konnte seine Pkw-Verkäufe auf 561.900 erhöhen und dabei auch das bislang höchste Auslandsvolumen erreichen; die Produktionskapazitäten (600.000) waren nahezu ausgelastet. Der Ertragseinbruch in Daimlers Paradesparte — Mercedes hatten 1989 mit ihren Nobelschlitten nur knapp eine Milliarde gutgemacht — ist wettgemacht, den der Würgegriff des stürzenden Dollar, die Diesel- Debatte und die Besteuerung der beliebten Mitarbeiter-Jahreswagen ausgelöst hatten.
Auch Versäumnisse der Vergangenheit im Entwicklungsbereich wurden inzwischen aufgeholt. Der Qualitätsnimbus des schwäbischen Sterns hatte unter einer klappernden Mittelklasse schwer gelitten. Doch Mercedes schlug zurück: Über zwei Milliarden D-Mark steckten die Stuttgarter in die Entwicklung ihrer neuen S-Klasse, die nach den Worten Niefers „neue Maßstäbe im Automobilbau“ setze und verlorenes Terrain wiedergewinnen soll. Für die 408 PS starken, 2,2 Tonnen schweren und bis zu 200.000 D-Mark teuren Flagschiffe, die seit April ausgeliefert werden, sind die Auftragsbücher randvoll — und damit Absatzsorgen und Angst vor der bayerischen Konkurrenz vorerst dahin.
Kommendes Jahr will Mercedes allein mit der S-Klasse zehn Milliarden Mark umsetzen. Doch die Pkw- Bauer plagen weitere Sorgen: Die Autoherstellung sei in Deutschland um ein Drittel teurer als in Japan, wird unter Hinweis auf hohe Fertigungstiefe und hohe Lohnkosten geklagt. Da haben auch die McKinsey- Berater, die gleich scharenweise durch Werkshallen und Büros zogen, keine Abhilfe schaffen können.
Enger gworden ist es für den international führenden Lkw-Hersteller dagegen auf dem Nutzfahrzeug- Markt. Nach fünfjährigem Boom sackten die Produktionszahlen 1989 deutlich ab, 1990 auf knapp eine Viertelmillion. Die Marktstrategen um Lkw-Lenker Helmut Werner waren mit hochtrabenden Plänen eines standardisierten Komponenten- Lkw-Programms gescheitert, nun soll die Schraube bei den Produktionskosten angesetzt werden. Mehr Kosten als Nutzen hat bislang auch das Prestige-Projekt auf ehemaligem DDR-Boden verursacht: In dem ehemaligen IFA-Kombinats-Werk Ludwigsfelde nahe Berlin versuchten die Mercedesmänner zunächst, einen DDR-Lkw des Typs L60 mit einer Mercedes-Fahrerkabine hochzupäppeln. Der Versuch scheiterte, das Kooperationsfuhrwerk wollte niemand. Nun werden dort einstweilen West-Lkws montiert. Mit Milliardeninvestitionen plant Mercedes dort ein neues Werk, das Bestandteil des europäischen Nutzfahrzeuge-Produktionsverbunds werden soll — eine Sanierung des IFA-Werks würde zum Millionengrab.
Mercedes-Benz bleibt nach wie vor die Milchkuh des Daimler-Gemischtwarenladens, bei dem vom Eierkocher bis zum Airbus so ziemlich alles zu haben ist. Der Umsatz im Autogeschäft stieg 1990 um 6,1 Prozent auf 59,8 Mrd DM. Damit erwirtschaften die Autopiloten annähernd drei Viertel des Konzernumsatzes von 85,5 Mrd; rechnet man das Mercedes-Betriebsergebnis von 1,5 Mrd D-Mark auf den Konzern-Jahresüberschuß von 1,8 Mrd D-Mark an, sprudelt aus dem Fahrzeugbau der Quell allen Reichtums. Und von dem Konzern-Zukauf aus High-Tech, Elektronik und Computersystemen soll auch die künftige Mercedes-Generation einmal im „Traffonik“-Zeitalter, der Verbindung von Verkehr und moderner Leittechnik profitieren — falls der Automobilbau dann nicht längst an seine ökologischen Grenzen gestoßen ist.
Der „gute Stern auf allen Straßen“ engagiert sich, wo er kann. Doch noch wird die Nationalhymne nicht gehupt.
Auch „Mr. Mercedes“ Werner Niefer ist angeschlagen: In der Affäre um einen Busunfall — Niefer hatte in Italien eine Touristin angefahren — wurden nicht nur merkwürdige Ermittlungsmethoden aufgedeckt. Diese hatten kein Strafverfolgungsinteresse wegen Fahrens ohne Führerschein bekundet, weil Niefer im Ausland „nur ein paar Meter gefahren sei“. Zudem wird dem Top- Manager vorgeworfen, er habe Eigenheim-Baukosten mit der Firma abgerechnet. Die Stuttgarter Staatsanwaltschadft ermittelt gegen Niefer wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.
Ob der Späth-Spezi und schwäbische Aufsteiger — er brachte es bei Mercedes vom Lehrling zum Chef — noch in der nächsten Runde Mercedes steuert, ist fraglich.
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