: Da gingen sie hin
Das Hildesheimer Veranstaltungszentrum „Vier Linden“ stellt den Betrieb ein. Damit verliert die Stadt zum Ende des Monats ihre einzige feste Bühne für größere, prominenter besetzte Konzerte – und gerät nun kulturell vollends in den Schatten Hannovers
Egal, welche Musikrichtung auf dem Programm stand: Er war immer da. Stand da links von der Bühne, hatte eine dunkel getönte Pilotenbrille, lange graue Haare und einen zotteligen Schnurbart. Dazu trug er immer ein Uniformjacket, so ähnlich wie die Beatles auf dem Cover von „St. Peppers“, nur dunkel und viel abgefuckter. Er stand da, und sein Job war aufzupassen, dass niemand unbefugt durch die Tür links von der Bühne in den Backstage-Bereich ging. Die Uniform war seine Dienstkleidung. Und seine Dienstherren waren im Lauf der Jahre Gäste wie Dr. Feelgood. Oder Knorkator. Oder Chic Corea, Cockney Rebel, Harry Rowohlt oder Die Erste Allgemeine Verunsicherung. Nur bei den Konzerten der lokalen Szene, da war er nicht dabei.
Lange Jahre war er eine Konstante im Hildesheimer Lokal „Vier Linden“, in dem an den Abenden so Unterschiedliches passierte. Damit ist nun Schluss: Zum 31. Januar wird das „Vier Linden“ nach gut 20 Jahren Kulturbetrieb schließen. Hildesheim verliert damit seine einzige feste Bühne für Konzerte und Lesungen, zu der das Publikum regelmäßig auch aus Hannover und Göttingen, gar Bremen und Bielefeld anreiste. In Sachen Kulturangebot steht die Stadt damit vollends im Schatten von Hannover – allein die Produktionen einiger freier Theatergruppen werden jetzt noch ab und an ein paar Kulturinteressierte dazu bringen, nach Hildesheim aufzubrechen.
Gescheitert ist der Betrieb im „Vier Linden“ letztlich an 50.000 Euro Fördergeld. Diese bekam bislang der Verein für Kunst und Kultur, der das Kulturprogramm im „Vier Linden“ seit 1987 gemacht hatte. Vergangenes Jahr beschloss nun der Rat der Stadt mit einer Mehrheit aus SPD und CDU, die Förderung für das Jahr 2008 komplett zu streichen. Die Begründung dafür lautet, der Verein sei zu eng an den Veranstaltungsort und den dortigen Pächter gekoppelt. „Vier Linden“-Pächter und Kunst-und-Kultur-Vereinsmitglied Uwe Brennecke dagegen sagt, der Grund sei ein anderer: Zwei Mitglieder des Vereins hätten es gewagt, bei der Oberbürgermeisterwahl vor zwei Jahren Kurt Machens zu unterstützen. Dieser ist amtierender Oberbürgermeister der Stadt und wurde 2005 im Zuge der „Pecunia Non Olet“-Affaire aus der CDU ausgeschlossen. Seitdem ist er parteilos und hat kaum Freunde – weder in der CDU noch in der SPD.
Ohne das Geld der Stadt hat der Verein nun nicht mehr genug Geld zum Weitermachen. Außerdem lässt Brennecke seinen Pachtvertrag zum 31. Januar auslaufen. Einen neuen Pächter gibt es noch nicht. Nun sind die Eigentümer der Immobilie am Zug, eine Erbengemeinschaft, die darüber entscheidet, wie es weitergehen soll im „Vier Linden“.
Ganz ohne öffentliche Förderung ist es kaum vorstellbar, dass hier nicht nur Gastronomie, sondern auch Kultur stattfindet. Dabei war die Mischung immer die Stärke dieses Ortes: Das „Vier Linden“ erinnert im Inneren mit seinen weißen, verschnörkelten Säulen an ein Wiener Kaffeehaus, die Fläche vor der Guckkastenbühne ist eingefasst von einer passenden weißen Ballustrade. Funktioniert hat dieses Ambiente sowohl für laute Konzerte als auch für Lesungen, Hochzeiten und Betriebsfeiern. Es war ein Ort, der Vorhänge hatte zum Zu- oder Aufziehen. Und eine Bühne, an die sich sehr nahe herantreten ließ.
Zuletzt kamen im Durchschnitt 285 Gäste zu den Kulturveranstaltungen, zudem gab es regelmäßig Partys. Wenn beides wegfällt, wird das nicht nur das Publikum merken: Mancher Betrieb profitierte vom „Vier Linden“. Das eine oder andere Hotel zum Beispiel. Oder die Tankstelle von gegenüber.KLAUS IRLER
Kehraus-Party mit der Band Kraan und DJ Achim am 19. Januar