: DVU-Urteil im Kreuzverhör
■ Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wird von Hamburgs Politikern scharf kritisiert / Staatsrechtler warnen vor Richterschelte
Recht contra Moral? Der Beschluß des Hamburger Oberverwaltungsgerichts, nach dem der Spitzenkandidat der rechtsextremen DVU zur für Dienstagabend im dritten Pogramm des NDR geplanten Diskussionsrunde der SpitzenkandidatInnen hätte zugelassen werden müssen, traf gestern auf durchaus unterschiedliche Beurteilungen.
Während Vertreter von SPD, CDU, FDP und GAL den Richterspruch scharf kritisierten, warnten die Staatsrechtler Ingo von Münch und Wolfgang Hoffmann-Riehm vor voreiliger Richterschelte. Der NDR hatte die Sendung „Im Kreuzverhör - die Hamburger Spitzenkandidaten“ nach der Entscheidung des Gerichts und der Absage der anderen Spitzenkandidaten aus dem Programm genommen.
Ex-Bürgermeister Ingo von Münch verwies gegenüber der taz auf den Paragrafen fünf des Parteiengesetzes, daß die „abgestufteGleichbehandlung“ zugelassener Parteien durch öffentliche Institutionen regelt. Es sei durchaus fraglich, ob sich der NDR als öffentlich-rechtlicher Sender bei Wahlsendungen grundsätzlich auf die Programmfreiheit berufen könne. Ähnlich äußerte sich Hoffmann-Riehm: Bei der Bewertung des Urteils sei durchaus Vorsicht geboten, erklärte der frühere Vorsitzende der Enquetekommission zur Parlamentsreform.
Vertreter der vier Rathausparteien waren sich dagegen einig in der Verurteilung des Richterspruchs. Der SPD-Bürgerschaftskandidat Hakki Keskin wertete das Urteil gestern gegenüber der Deutschen Presseagentur als „eine große Ermutigung für die rassistisch-antisemitische Demagogie, die in den vergangenen zwei Jahren 36 Menschenleben gekostet hat“. CDU-Fraktionschef Kruse fühlte sich an das „Versagen“ der Richter „in der Weimarer Republik“ erinnert, GAL und FDP erklärten die Absage ihrer Kandidaten mit der Aufwertung, die Rechtsradikale und Rassisten durch eine gemeinsame TV-Diskussion erfahren hätten.
Die gemeinsame Absage der Wahlsendung war am Dienstagabend erst nach einer Unzahl von Telefonaten zwischen den Parteien zustandegekommen. Bei FDP und SPD hatten die Parteichefs Robert Vogel und Helmuth Frahm zunächst zur Teilnahme geraten. Auch bei GAL und CDU gab es Stimmen, die sich für eine Auseinandersetzung mit dem DVU-Kandidaten ausgesprochen hatten.
Die Entscheidung vom Dienstag ist nicht die erste des Hamburger OVG,die das Recht nicht im Parlament vertretener Parteien betont, auch mit Parolen, die gegen das Grundgesetz verstoßen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auftreten zu können. Neben zwei ebenfalls zugunsten der DVU ausgefallenen Urteilen von Mitte August und Anfang September entschied dasselbe Gericht im Jahr 1974 zugunsten der KPD/ML. Damals wollte der NDR einen Wahlwerbespot nicht ausstrahlen, in dem der bewaffnete Aufstand gegen die Parlamente propagiert wurde.uex
Siehe auch Seiten 1, 3 und 10
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