DVDESK : Eine Heldengeschichte aus dem Ölbohrwesen
„Crude“. Regie: Joe Berlinger (USA 2009). Die DVD ist bei Amazon erhältlich
Jahrzehntelang förderte Texaco im ecuadorianischen Amazonasgebiet Öl. Um die Umweltschäden, die dabei entstanden, machte man sich keine Sorgen. Lago Agrio war ein abgelegenes Gebiet, die dortigen Ureinwohner kümmerten keinen bei Texaco. Öl und Giftstoffe wurden in dafür ausgehobenen Gruben verklappt.
Anfang der Neunziger zog sich der Konzern aus dem Ölfördergebiet Lago Agrio zurück und hielt die Angelegenheit damit für erledigt. 1993 aber kam es zur Sammelklage vor einem US-Gericht. Nach jahrelangem Hickhack wurde diese zurückgewiesen, mit der Auflage jedoch, dass die Sache vor einem ecuadorianischen Gericht weiter verhandelt werden solle.
2006 ist die Sache noch immer nicht entschieden. Vor Ort finden nun erstmals Beweisaufnahmen statt. Beide Seiten, der Ölmulti Chevron, der inzwischen Texaco geschluckt hat, und die Kläger schicken ihre Anwälte nach Lago Agrio. Inzwischen ist auch Joe Berlinger dabei, ein preisgekrönter US-Dokumentarfilmer.
Prozessbeobachtung
Der Anwalt Steven Donziger, treibende Kraft hinter der Klage, lädt ihn ein, die Entwicklung des Prozesses mit der Kamera zu begleiten. Drei Jahre lang gewähren ihm die Kläger offenen Einblick in die Strategieplanung, die feinere und durchaus auch gröbere Schachzüge kennt. 2009, auch da ist die Sache noch lange nicht entschieden, kommt das Ergebnis, der Film „Crude“, in die Kinos. Es geht nun um zig Milliarden US-Dollar Schadenersatz.
Ohne grobe Verzerrung oder Vereinfachung schildert der Film den längst ziemlich komplizierten Stand der Dinge. 200.000 Aktenseiten wurden im Lauf der Jahre produziert. Alle Finessen der Klageführung und Klagezurückweisung werden angewandt. Eine Heldengeschichte lässt sich erzählen. Der aus einfachsten Verhältnissen stammende ecuadorianische Anwalt Pablo Fajardo hält den mit allen toxischen Wassern des Rechtswesens gewaschenen Konzernjuristen von Chevron stand.
Der Film hält sich mit seiner Glorifizierung nicht lange auf. Berlinger interessiert Grundsätzlicheres. Zum Beispiel das jedem Fairnessgebot widersprechende Ungleichgewicht zwischen der juristischen Abteilung eines Megakonzerns und der ständig von der Pleite bedrohten Klagevertretung. Daraus, dass diese eine auf den erfolgreichen Ausgang spekulierende Großkanzlei im Hintergrund hat, dreht ihr die Gegenseite versuchsweise denn auch gleich einen Strick. Berlinger verzichtet nicht darauf, an Krebs erkrankte Bewohner der Ölfördergebiete zu zeigen. Stets aber kommt auch die Gegenseite zu Wort, die vehement und manchmal beinahe einleuchtend alles, was man ihr vorwirft, zu widerlegen versucht.
Eine David-gegen-Goliath-Geschichte, keine Frage. Der David erweist sich als clever. Donziger und Fajardo gelingt es, den frisch gewählten linkspopulistischen ecuadorianischen Präsidenten Raffael Correa auf die eigene Seite zu ziehen. Auch ein langer Vanity Fair-Artikel über den Fall ist ein Coup: Fortan blickt die Welt auf das „Tschernobyl im Amazonas“.
Es dauert nicht lang, da sehen wir Trudy Styler im Dschungel, die in Regenwaldfragen engagierte Ehefrau Stings. „Crude“ erzählt mithin von einer Schlacht mit vielen Schauplätzen: Die Ölgruben von Lago Agrio gehören dazu, die US-Medien, die Verteilerstationen kulturellen Starkapitals – und am Ende dann, in zehn Jahren vielleicht, ein Gerichtssaal in Ecuador.
Es gibt ein Postscriptum zum Film: Chevron hat den Filmemacher Joe Berlinger auf Herausgabe seines kompletten Drehmaterials verklagt, weil man glaubt, es ließen sich so unlautere Machenschaften der Kläger belegen. Ein US-Gericht gab Chevron in der Sache in erster Instanz recht. „Crude“ ist so großartig, weil der Film seinen Fall exemplarisch erzählt. Darum kann man hier vorab sehen, worauf man sich in Sachen BP und Deepwater Horizon sicher schon mal gefasst machen darf. EKKEHARD KNÖRER