DVDESK : Sex, Bewegung und Tanz
„Ich bin das Glück dieser Erde – Yo soy la felicidad de este mundo“ (Mexiko 2014, Regie: Julián Hernández)
Später wird Octavio dann wirklich tanzen. Vom Publikum umstanden, die Kamera fährt hinter dessen Rücken entlang und erfasst aus dem Dunkeln heraus Octavios beleuchteten Körper nur durch die Lücken zwischen den eng stehenden Menschen. Die Bewegung im Tanz, die Kamerafahrt, der tanzende Körper verdichten sich so zum Bewegtbild aus Dunkel und Licht. Dann aber ein Schnitt, die Kamera blickt aus der Draufsicht, nichts steht mehr im Sichtfeld herum. Dafür zeichnet der aus unnatürlicher Perspektive eingefangene helle Körper im Tanz fast schon abstrakte Figuren aus Licht und Bewegung auf den Boden, der für das Bild vor allem ein dunkler Hintergrund ist.
Fast schon abstrakte Figuren: Das sind auch der Filmemacher Emiliano und der Callboy Jazen, von den anderen ganz zu schweigen, die zum Teil namenlos bleiben. Viel individuelle Geschichte gibt der Filmemacher Julián Hernández ihnen nicht. Es gibt auch nur gerade so viel Handlung und Plot, dass man nicht komplett die Orientierung verliert. Emiliano will einen Film über den Tänzer Octavio drehen. Er begehrt ihn, auch Octavio ist interessiert, sieht aber später Emiliano mit einem anderen Mann: Da ist es aus, wenn auch nicht vorbei, noch später, nach der Performance, bahnt sich erneut etwas an.
So viel kann man erkennen, so viel figuratives Erzählen findet sich auch im Abstrakten. Dazwischen Körper auf Treppen, Männer und Frauen, die einander umschleichen, nackt und halbnackt, Körper von Männern und Frauen beim Sex, beim Vorspiel und Nachspiel, Männer und Frauen, Frauen und Frauen, Männer und Männer, die von den Körpern der andern etwas wollen, aber nicht nur und nicht immer, manchmal verselbstständigt sich das voyeuristische Blicken – in Richtung Masturbation – und mal die Bewegung – dann ist es Tanz. Sex, Bewegung und Tanz: Das sind die zunächst sehr einfachen Grundelemente von „Ich bin das Glück dieser Erde“.
Alchemistische Kraft
Gar nicht mehr einfach, sondern schlicht grandios ist, wie der Film sie miteinander verbindet. Die Darsteller, die Figuren: Sie sind vor allem Körper im Bild. Aber niemals statische Körper, sondern sich bewegende Körper im sich bewegenden Bild. Es geht nicht um Dynamik, nicht um Schnelligkeit, nicht um Kraft. Es sind langsame Körper im schleichend sich bewegenden Bild, in dem ein Akteur in jedem Moment mit im Spiel ist: die Kamera von Alejandro Cantú. Sie ist die alchemistische Kraft, die die Elemente zu einem fließenden Ganzen verknüpft. Diese Kamera ist weder passiv noch aktiv, weder beobachtet sie nur noch greift sie ein. Und doch ist sie in steter Bewegung unaufhörlich in Kontakt mit der Bewegung im Bild. So werden die Körper, mal als tanzende aus der Ferne, mal als Großaufnahmen von Gesichtern, mal sich umschleichend, mal auf Distanz, begleitet, geleitet, gegen- und zueinander geführt. Die Bewegung der Kamera ist eine der Bewegung im Bild gleichursprüngliche Kraft. So wird der Film selbst zum Tanz.
Man muss nicht verstehen. Nicht, wer diese Figuren eigentlich sind; nicht, was sie voneinander wollen, außer Begehren, Sex, Tanz, Sex, der aber immer eine Spur abstrakt bleibt, weil er immer auch Tanz und weil auch die Bewegung der Kamera mit im Spiel ist. So entstehen hermetische Räume, in die aber Raumtonklang aus einem kaum je ins Bild geratenden mexikanischen Außen gelangt. In einer langen Sequenz, deren Bezug zum Rest eher unklar bleibt, hört man eine nicht verortbare Stimme, die zum Spiel der Körper poetische Sätze zitiert. All das ist nicht ohne Pathos. Es gibt sicher Leute, die es prätentiöse Kunstkacke nennen. In Wahrheit ist es von einer atemberaubenden Schönheit, die ins Sublime tendiert.
EKKEHARD KNÖRER
■ Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich