DURCHS DRÖHNLAND: Schuljungen, Sonntagskinder und Freizeithelden
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche
Alte Männer lauern der Jugend auf, oder sie trauern ihr nach. Nick Cave hat ein bißchen von beidem. Vor einem Jahrzehnt hätte kein Mensch damit gerechnet, daß der rotzspuckende australische Brüllpunk einmal zum gepflegt predigenden Salonlöwen aufsteigen könnte. Doch nachdem er das Jammertal der angerußten Silberlöffel hinter sich gebracht hat, muß er wohl Licht am Ende des Tunnels gesehen haben. Melancholisch senken sich nun seine Weisen auf die Gemüter derer, die ihn als trunkenen Wüterich kennen, während die nachwachsende Jugend ihn ob seines ansprechenden Äußeren und der stimmlichen Inbrunst bewundert. Sein Blues tut dabei nichts zur Sache.
Nick Cave & The Bad Seeds, 29.5., Tempodrom, 20 Uhr, an der Kongreßhalle, Tiergarten
Sehr viel mehr Federn lassen mußte Helge Schneider auf seinem langen Weg zum Heldentenor. Erst freakiger Jazzrabauke, dann quergebügelter Kleindarsteller im Autorenfilm und nun auf Plateauschuhe gehobener Entertainer. Der Mensch hat Stehvermögen wie ein Starlett, alle Höhen und Tiefen des Schaugeschäfts haben den kleinen Ruhrgebietler mit dem nasalen Etwas im Gesang nur mild und weise gemacht. Wer so oft das Elend gesehen hat wie Helge, darf sich Späße erlauben. In Amerika waren solche Männer vorher Box-Champions im Fliegengewicht. In Frankreich eher kellnernde Gilbert-Bécaud-Imitatoren. Auch gut.
Helge Schneider & Band, 29.-31.5. im Quartier, 20 Uhr, Potsdamer Straße 96, Tiergarten
Ganz und gar dem schnöden Geschwätz um Stars und Sternchen abgeneigt sind in dieser Woche scheinbar nur The Ex. Sie haben sich zwar mit Tom Cora, einem akademischen Derwisch am Cello, zusammengetan, aber nur mit den ehrbarsten Absichten. Das politische Engagement der Gruppe und der unentwegte Fusionsgeist des New Yorker Noise-Artisten verbinden sich in der Musik zu einer Art Lärm mit Botschaft, der man in Amsterdam gerne folgt. In Berlin dagegen geraten besetzte Häuser schnell in Vergessenheit, es sei denn, ein paar Künstler hängen ihre Bilder hinein.
The Ex & Tom Cora, am 29.5. im KOB, 22 Uhr, Potsdamer Straße 157, Tiergarten (Wegen des zu erwartenden Ansturms ist ein anschließendes Zusatzkonzert geplant.)
Über Prince soll an dieser Stelle kein böses Wort fallen. Weder über die Rektalakrobatik, die er seinen hüftschwingenden Videoclipliebchen abfordert, noch über sein unglückliches Konzept, Puffpartituren und sterbende Schwäne zum onanistischen Gesamtkunstwerk zusammenzukleistern; weder über sein nachlässig-eintöniges Gitarrengejaule zum handelsüblichen Funkbums, noch zu dem Ding, das ihm von unterhalb der Gürtellinie soulschnulzend die Töne diktiert. Nur eines: Dieser neue Bart: furchtbar. Wie ein gestutzter Rauhhaardackelrüde. Das muß ab.
Prince, 31.5., in der Waldbühne um 20 Uhr, Glockenturmstraße, Ecke Passenheimer Straße (Olympiastadion)
Dabei sind die schmierigen Mähnen von Bullet Lavolta auch nicht von Pappe. Und darunter stecken ebenso harte Arbeiter wie beim Stöhnmaestro aus Minneapolis. Die Bullets aus Boston haben ganz klein skate- punk-rockend angefangen, sind allmählich hardcorend aufgestiegen, um nun blitzschnell bei der Industrie per Crossover einzuschlagen. Wie eine Bombe ins Nirvana. Allerdings dürften sie live mit doppelter Gitarrenbeschichtung noch viel mehr Metal im Repertoire haben als die angefuzzte Neil-Young-als-Teenie-Schiene aus Seattle, deren Geruch noch immer die Scharen folgen.
Bullet Lavolta, 31.5., im Loft, 20.30 Uhr, Nollendorfplatz 5, Tiergarten
Gestern ein Prinz, heute der Lebemann mit Fremdsprachendiplom in der Tasche: Musik hat doch so viele Gesichter... David Byrne hat nur eines, das ihm zuletzt mit Koteletten zugewachsen ist. An der Tatsache, daß er rund um den Erdball vor sich hin kreativegetiert, nur um dem Mastermind-Image alter Talking-Heads- Zeiten zu entfliehen, ändert es wenig. Wo immer Byrne mit Ethnoklängen seinen weltmusikalischen Horizont erweitert, kommt ein angegroovter Psycho Killer mehr heraus. Egal, ob in Texas, Tijuana oder beim Tanztee im Tropenwald. Er sollte zurück nach New York ziehen und Kabelfernsehen in sein Loft legen lassen. Das beruhigt.
David Byrne, 1.6., Tempodrom, 20 Uhr, an der Kongreßhalle, Tiergarten
Um die Welt reisen und Mercedessterne sammeln, mag sich Henry Rollins gedacht haben, als er bei Black Flag einstieg. Damals noch ganz der Student für die Groß-WG mit dem Glauben an das gute Gespräch, ist der kalifornische Vierkant-Kopf mittlerweile verhärmt, bitter und berühmt. In Interviews müht er sich ab, ein gesundes politisches Bewußtsein an den Tag zu legen. Seine Mundwinkel verziehen sich zu keinem Lächeln, als hätte er sie mit einem Kleiderbügel gestrafft. Hardcore ist eben no fun, aber ein gutes Geschäft. Funky Metal ebenfalls, weshalb mit den Urban Dance Squad gleich ein zweiter aufrichtiger Absahner- Act die Halle füllt, der aber mehr zu sagen hat als »Hello Berlin, nice to be back«, während das Management die Deutschmarks zählt.
Rollins Band/Urban Dance Squad, 2.6., im Metropol, 20 Uhr, Nollendorfplatz 5, Tiergarten
Eher merkwürdig mutet die Tatsache an, daß eine Band wie Sovetskoe Foto, zumal sie aus der deutschen Eishockeyhackermetropole Rosenheim stammt, ansprechend sperrige Musik produziert. Dafür mußten sie zuerst einmal in den USA ihr Glück versuchen, um daraufhin per 'Spex‘ eines Besseren belehrt zu werden. In New York dürften sie mit Ex-Material-Macher Martin Bisi, Foetus und Arto Lindsay ernste Gedanken in Form von »Free Music« (Hard-Core-Jazz-Noise-Industrial- Avantgarde-und-Bauhaus) austauschen, während ihnen, zurück in der BRD, ein Oberakademiker einfach »Scheitern« attestierte. Dabei haben sie Cold Turkey von Lennon wirklich äußerst liebevoll zersägt.
Sovetskoe Foto, 2.6., Huxley's Jr., ab 21 Uhr, Hasenheide 108/114, Kreuzberg
In den Sphären des Pop hingegen muß man sich inzwischen gar nicht mehr so weit bewegen. Stephan Eicher hat für die Aufnahmen zur aktuellen LP Engelberg die heimatlich-eidgenössischen Berge aufgesucht, deren Almen er von Kindesbeinen an durchtobt hat. Später saß er dann grübelnd in der Morgensonne, las die Bücher der Beatniks und sehnte die Ferne herbei, die er nun mit einfühlsamen Balladen zu sich in die Holzhütte holt. Ein bißchen gleicht die Musik des einfühlsamen Schweizers jenen traumwandlerisch pointierten Elegien des frühen, noch nicht ganz verbitterten Dylan. Der stille Songwriter mit Sixties-Flair besitzt dennoch eine unverwechselbare musikalische Handschrift, in der sich die provinzielle Landidylle der Berge mit dem Gedanken der Weltmusik paart. Die Welt ist ein Dorf, nur in der Ferne ragen Bankgebäude empor.
Stephan Eicher spielt am 1.6. um 17 Uhr solo im Kulturhaus fnac (Meineckestraße 23, Wilmersdorf) und am 2.6., 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz 5, Tiergarten.
Auf den Werdegang der Popmusik im Beitrittsgebiet kann sich kaum jemand einen Reim machen. Bisher bestachen bloß die ehemals kräftezehrenden Autoperforierer mit freiem Lärm und kruder Poesie — als Trauerflor der Wiedervereinigung. Das muß anders werden: frech kommt weiter. Die Prinzen haben ein wenig bei den Charttoppern der Neuen Deutschen Welle abgeguckt, Geier Sturzflug revisited und die Vokalarrangements der Münchener Freiheit zuckerbäckerisch ins sächsische Kreuzchorgefüge übertragen. Als Patina im öffentlich-rechtlichen Werbefernsehen wirkt das charmante Geknödel ganz angenehm. Und Udo Lindenberg mag die reizende Ausstrahlung der pummeligen Schuljungen aus Dresden ebenfalls.
Die Prinzen, 3.6., 21 Uhr, im Metropol, Nollendorfplatz 5, Tiergarten
Aus dem heringsdürren »Dicke«-Hasser ist ein verwegener Freizeitheld geworden (mit jeder Menge Tagesfreizeit). Marius Müller-Westernhagen, dessen lebenserfahren-kühler Blick Stadtmagazin-LeserInnen fasziniert, will noch nicht aufs Altenteil. Heute darf er wegen der großen Nachfrage gleich ein zweites Mal in der Waldbühne zeigen, daß er selbst Peter Maffay überragt.
Westernhagen, 2. und 3.6., 20 Uhr, in der Waldbühne, Glockenturmstraße, Ecke Passenheimer Straße (Olympiastadion)
Wenn zornige junge Männer in die Jahre kommen, ohne zur fröhlichen Weisheit des glücklichen Vergessens gefunden zu haben, dann ist das durchaus tragisch. Dann müssen auch gestandene Nietzsche-Jünger wie Christian Death sich von Frauen vielleicht ein letztes Mal aufrichten lassen, zum Beispiel nackt für das Pressefoto ihrer Plattenfirma. Allein, den totenkultigen Freikörpergrufties aus Los Angeles nützt dieses Bekenntnis zum Homo erectus nichts mehr: Aufgesetzte Texte um Themen wie Aids (Zero Sex), langweilig knatternde Drummaschines und Sequenzerstereotypen machen keinen Gott wieder lebendig, nicht einmal den Deus ex machina.
Christian Death, 3.6., 21 Uhr, JoJo, Wilhelm-Pieck- Straße 216, Mitte
Zum Schluß ein kleines Bekenntnis zur großen Legende: Richie Havens musiziert noch immer. Nicht mehr vor den 450.000 Blumenkindern von Woodstock, aber zumindest vor 250 erwachsen gewordenen TopfpflanzenhüterInnen, deren ernste Sorge bleibt, daß sich die Menschen untereinander verstehen lernen, anstatt sich die Köpfe einzuschlagen; denen das Grün der Erde mehr bedeutet als die Farbe des Geldes. Für sie macht Richie Havens auch im 23. Jahr nach dem friedlichen Stelldichein auf den Feldern von Max Yasgur seine Lieder. Heute hämmert er nicht mehr wie ein Wahnsinniger auf seine akustische Gitarre ein und stöhnt bebend unter der Last von Freedom. Heute singt er mit gefühlvoll-feinem Timbre Imagine und achtet (auf) die Zwischentöne.
Richie Havens, 4.6., 22 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12a, Charlottenburg. Harald Fricke
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