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DURCHS DRÖHNLANDBescheidene Rechte auf ein bißchen schlichtes Glück...

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Die nicht kleine Fangemeinde von Nick Cave hat nicht mehr allzu oft Gelegenheit, den Hüter aller einsamen Herzen und geleerten Whiskey-Gläser leibhaftig zu besichtigen — bekanntlich hat der gebürtige Australier seinen Wohnsitz von Berlin nach Rio de Janeiro verlegt. Doch immerhin gibt es noch Once Upon A Time, ebenfalls ursprünglich aus Australien, die es in der Stadt hält, und die ebenso in der Lage sind, heillose Verzweiflung in Musik und Show zu legen. Aufgetreten sind die vier nicht nur mit dem Meister selbst, sondern auch mit nahezu allem aus dessen Umfeld, von den Einstürzenden Neubauten bis zu Crime & The City Solution. Auf ihrer letzten LP »In The Blink Of An Eye« kultivieren sie auf das zäheste die desperate Verwirrung, die jeden Mann von Down Under unweigerlich im Ausland zu befallen scheint. Über ebenso satten wie sanft ziselierten Blues- Harmonien moduliert Bruno Adams sein Organ ähnlich gequält wie Nick Cave, wenn vielleicht auch nicht ganz so kunstvoll. Daß der Sound der Platte den einschlägigen Fan anspricht, garantiert schon Produzent Mick Harvey, vormals bei Birthday Party, jetzt bei den Bad Seeds und bei Crime & The City Solution. Da klimpert das Klavier verloren, knarzen die E-Gitarren, scheppern die Rhythmen. Live fehlt Once Upon A Time oft die Spritzigkeit, aber das machen sie mit einer stilvollen Pomadigkeit wieder wett.

Am 14.8. um 21Uhr im Huxley's, Hasenheide 108-114, Kreuzberg.

Neuester Stern am Berliner Metal-Himmel sind die deutsch-amerikanische Kombination D-Base5, die seit gut einem Jahr existieren. Verschrieben hat man sich dem, was gute Laune und die eine oder andere Mark bringt: dem Funk-Metal, wie ihn die Red Hot Chili Peppers oder Mordred in den letzten Jahren zum Megaseller gemacht haben. Das Schwierigste am Genre ist und bleibt, die Balance zu finden zwischen dem grundsätzlich eher locker zu spielenden Funk und der notwendigen Dumpfheit des Metal. Bei den Peppers schlug das Pendel eher ins Flockige, Mordred waren oft zu schwer, um noch richtig zu swingen. D-Base5 haben auch ihre Schwierigkeiten damit und produzieren eigentlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner des Crossovers, doch zeigen sie auf ihrem Demo-Tape, daß sie durchaus in der Lage sein sollten, die goldene Mitte zwischen den beiden Instanzen zu finden. Hin und wieder bricht ein zu ausuferndes Gitarrensolo den groovenden Fluß, aber ansonsten haben sie alles, was zuckende Gliedmaßen und headbangende Schädel garantiert: einen Sänger, der eine leicht sülzende Melodie halten kann und das Rhythmusgefühl für rappende Passagen besitzt, einen Gitarristen, der ein sattes Metal-Riff notfalls auch mit leichten, funkigen Fingern spielen kann und eine Rhythmusgruppe, die selten in eines der vorgesehenen Klischees verfällt.

Spät am Abend, auf der Insel, und für viele wahrscheinlich das lohnendere Ziel sind Midnight5, ein Partyprojekt von Mitgliedern der beiden Westberliner Metal-Institutionen Jingo de Lunch und Angelus. Wenn der Niedergang von musikalischen Entwicklungen mit der Zunahme von Supergroup-Projekten einhergeht, kann es bis zum nächsten wirklich großen Ding nicht mehr lange dauern.

D-Base5 am 14.8. um 21Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg. Am 15.8. um 22Uhr auf der Insel: Midnight5. Auch am 15.8. um 24Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow.

Für die korrekte Sache gehen wieder einmal einige auf die Bühne. Für die »Streuhand«, eine Organisation, die sich um die Opfer von Rechtsterror und Rassismus kümmert, spielen neben anderen auch Die Kaspischen Ärsche & Karibischen Träume, Kreuzbergs peinlichste Kellerkombo, und die Sidewalk Poets, mit dem verkanntesten Genie der Stadt (Eigenmeinung) als Sänger. Der Zweck heiligt wie so oft die Mittel, auch die musikalischen.

Am 15.8. ab 15Uhr im Volkspark Hasenheide, Kreuzberg.

Die nach Hype lechzende Presse will uns weismachen, daß das beste an amerikanischer Gitarrenmusik im Moment vom Okra-Label aus Ohio kommt, und schon ist SubPop vergessen. Dabei beleben die meisten Bands auf Okra nur alte und sattsam bekannte Folkrockmuster, was nicht bedeuten soll, daß man diesen Folk nicht immer wieder hören könnte. Der neue Liebling der Massen soll David Schramm werden, trotz seines Namens nichtdeutscher Abstammung und seines Zeichens Vorsteher von The Schramms, die aufgrund der Vorgeschichte ihrer Mitglieder eine Art Countryfolk-Supergroup darstellen. Schramm selbst war Gründungsmitglied von Yo La Tengo und spielte mit den dB's, Replacements und anderen Größen, und auch der Rest der Kapelle kann eine respektfordernde Legende vorweisen. So filtern die Schramms das Beste aus ihrer Vergangenheit zu einem modernen Folk-Sound, der auf alles Spektakuläre verzichtet: keine Lärmquälereien wie bei Yo La Tengo, keine aufgesetzte Poppigkeit wie bei den dB's, kein pomadiges Country-Feeling wie bei den Replacements. Schlichte Songs, schlichte Instrumentierung, da erkennt jeder sofort, wo die Strophe aufhört und der Refrain anfängt. Schon beim ersten Erklingen sind Schramms- Songs nahezu Klassiker, nur die markante, eckige Stimme von David Schramm verhindert die völlige Austauschbarkeit.

Am 18.8. um 20.30Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.

Mit Kulten ist es schon komisch. Sie entstehen seltenst wegen der gespielten Musik, meistens aber der Umstände wegen, in der diese Musik entsteht. So auch bei den Rasenden Leichenbeschauern aus Ungarn, die seit ihrer Gründung Mitte der Siebziger lange verboten waren, unter falschen Namen auftreten mußten, es 1983 trotzdem ins westliche Ausland schafften und seitdem als einzige Band, die hier etwas bekannt ist, unser Bild des ungarischen Undergrounds bestimmt. Sie selbst sehen sich als Hardcore-Band, die bisher allerdings eher ein Publikum anzog, das sich sonst auf Vernissagen die Beine in den Bauch steht. Vor allem live lassen sie den hämmernden Rhythmus so lange monoton fließen, daß bei ungestählten Seelen tranceartige Zustände entstehen sollen, verstärkt durch eine mystische Bühnengestaltung. Ideologisch abgesichert ist diese Reise ins Unbewußte durch Schamanismus, dem die Bandmitglieder — wahrhaftig oder nur fürs Image — huldigen. Allesamt sind sie übrigens Akademiker, der Sänger gar Professor für Astrophysik. Musikalisch sind die Leichenbeschauer allerdings weit hinter der Entwicklung im Hardcore hinterher, was nicht bedeutet, daß sie selbst als Institution und Live-Ereignis nicht immer noch interessant wären.

Am 20.8. um 20.30Uhr im Loft.

Die neuen Stars amerikanischer Folk-Musik sind ausgerechnet Engländer. Die Fellow Travellers sind inzwischen in die USA verzogen, erscheinen beim neuerdings vielgepriesenen Okra-Label (siehe weiter oben unter »Schramms«) und verleugnen erfolgreich ihre europäische Vergangenheit. Nur mit viel Phantasie kann man noch den englischen Folk, die Pub-Saufgesänge heraushören, denen Sänger und Gitarrist Jeb Loy Nichols als Ex-Mitglied der Pogues eigentlich verpflichtet sein müßte. Statt dessen erweitern die Fellow Travellers hochromantischen, stark Country & Western-geprägten Ami-Folk mit scheinbar unvereinbaren anderen Stilen. Stärkster Einfluß ist der Reggae, personalisiert durch Keyboarder Martin Harrison, der den Off-Beat bei Adrian Sherwood lernte. Viele der Songs haben einen leichten, flockigen, fast fröhlichen Reggae-Rhythmus, an einige Stücke schließt sich gar eine eigene Dub-Version an. Eine Idee, die so krude ist, daß natürlich nur Engländer darauf kommen konnten. Das Obskurste ist dann noch, daß die unmögliche Kombination funktioniert, daß die langsam vor sich hindümpelnden Dubs auf der einen Seite zum Tanzen anstacheln, auf der anderen auch durchaus beim guten Glas Wein als Hintergrundmusik zu gebrauchen sind. Zudem kontrastiert die zarte karibische Fröhlichkeit mit einer nölend lamentierenden Stimme, die Sätze singt wie: »I would not mind a few good times in my life.« Wann wurde jemals bescheidener das Recht auf ein bißchen schlichtes Glück angemahnt? Die Fellow Travellers werden ein paar bewegungsfreudigen Melancholikern ganz sicher ein paar gute Zeiten verschaffen.

Am 20.8. um 21Uhr im Huxley's.

Thomas Winkler

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