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DOKUMENTATIONWer nicht kämpft, stirbt auf Raten

■ Erklärung der RAF zur Ermordung von Treuhandchef Rohwedder (Auszüge)

Wir haben am 1. April 1991 mit dem Kommando Ulrich Wessel den Chef der Berliner Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder erschossen.

Rohwedder saß seit 20 Jahren in Schlüsselfunktionen in Politik und Wirtschaft.

Als Bonner Wirtschaftsstaatssekretär organisierte er in den 70er Jahren die Rahmenbedingungen, die das BRD-Kapital für seine Profite in aller Welt braucht. (...)

„...einer dieser Schreibtischtäter, die tagtäglich über Leichen gehen...“

Rohwedder war schon damals einer dieser Schreibtischtäter, die tagtäglich über Leichen gehen und die im Interesse von Macht und Profit Elend und Tod von Millionen Menschen planen.

In den 80er Jahren machte sich Rohwedder als Chef des Hoesch- Konzerns einen Namen als brutaler Sanierer. Er hat bei Hoesch in wenigen Jahren mehr als zwei Drittel aller ArbeiterInnen rausgeschmissen und den bankrotten Konzern zu neuen Profitraten geführt. Dafür wurde er 1983 zum Manager des Jahres gekürt.

Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine Funktion als Bonns Statthalter in Ost-Berlin sein. Seit ihrer Annexion ist die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundsrepublik: Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entscheidungszentren liegen in Bonn beziehungsweise bundesdeutschen Konzernen. (...)

Es geht den multinationalen Konzernen im Moment aber nicht um den großen wirtschaftlichen Aufbau in der Ex-DDR. Die wenigen ausgesuchten Teilbetriebe, die sie bisher übernommen haben, sollen vor allem Monopolstellungen für bestimmte Branchen sichern. Ansonsten wird die Infrastruktur ausgebaut — die Multis haben sich vom Telefonnetz bis zur Energieversorgung längst alles aufgeteilt — und gewartet, bis die Treuhand alles niedergemacht hat, um dann aufzubauen, was am Weltmarkt Profit abwirft.

Für die Durchsetzung dieses Plans hat die Bundesregierung Rohwedder ausgesucht, und er war dafür mit seiner Brutalität und Arroganz auch der Richtige. Für ihn gab es von Anfang an nichts in der Ex-DDR, was nach seinem auf Profit ausgerichteten Blick irgendwelche Werte hatte. Alles dort war für ihn immer bloß Konkursmasse:

„40 Jahre Sozialismus auf dem Gebiet der Ex-DDR haben mehr Schaden angerichtet als der Zweite Weltkrieg“, sagte er vor Unternehmern in Wien. So redet einer, der die Welt in Produktivitätssteigerung und Profitraten sieht und für den Menschenleben nichts zählen. (...)

Kapitalstrategen, wie Rohwedder einer war, geht es darum, auch die Bedingungen für den Angriff auf die Seele der Menschen und ihre tiefe Deformierung, die sie voneinander isoliert und scheinbar unüberwindliche Mauern zwischen ihnen aufbaut, zu schaffen. (...)

Das System der „freien Marktwirtschaft“ gaukelt allen eine vermeintliche Chance vor, sich im Wohlstandsland Großdeutschland einen sicheren Platz ergattern zu können und im Kaufrausch glücklich zu werden — in Wirklichkeit sollen die Menschen im Geiern nach Konsum dumm und stumpf gemacht werden. (...)

Der Schriftsteller R. Schernikau drückt die Einsamkeit und Leere im Leben von Millionen Menschen in den reichen kapitalistischen Ländern treffend aus: „Ich weiß nicht, was Verelendung sonst sein soll. Eine Maus in einem Rad, die läuft und hat Jeans und Kopfhörer.“ (...)

Das System braucht vor allem diejenigen, die sich voll und ganz für seine Werte entschieden haben und die in privilegierten Stellungen der High-Tech-Produktion oder der Dienstleistungen eingesetzt werden. Das sind diese Maden im Speck, die wir Yuppies nennen und deren Lebensinhalt sich weitgehend auf „born to shop“ reduziert. Nach ihren Bedürfnissen läuft die Umstrukturierung der Städte mit all den Schickimicki-Läden, Yuppie-Kneipen und unbezahlbaren luxussanierten Wohnungen — diese korrumpierte Yuppie-Schicht und die Bonzen sind die einzigen, die von dieser aufgestylten Scheiße, die überall entsteht und entstehen soll, profitieren. Für die Masse der Erniedrigten und Beleidigten bedeutet diese Entwicklung die Zerstörung ihrer Lebenszusammenhänge. Sie sollen abgeschoben werden in Betonghettos, die nach dem Prinzip gebaut worden sind, die Menschen zu isolieren. Hier läuft die Zerstörung von kommunikativen Lebenszusammenhängen schon lange und kommt jetzt zur Isolierung und Vereinzelung auch auf die Menschen in der Ex-DDR verschärft zu. (...)

Wir begreifen unsere Aktion gegen einen der Architekten Großdeutschlands auch als Aktion, die diese reaktionäre Entwicklung an einer Wurzel trifft. Es ist klar und gerade an der deutschen Geschichte bis zum „Dritten Reich“ deutlich, daß Verarmung, Verelendung und Massenarbeitslosigkeit nicht von alleine zu einer Mobilisierung für menschliche Ziele und gegen die Herrschenden führen.

Die Unzufriedenheit und Enttäuschung von fortschrittlich denkenden Menschen soll vor allem von den Gewerkschaften gezielt kanalisiert werden. Ihre Hauptaufgabe ist es zu verhindern, daß Arbeitskämpfe zu politischen Kämpfen werden, die das System als Verursacher der elenden Lage in Frage stellen. Mit diesem Ziel versuchen sich Gewerkschaftsbonzen aktuell an die Spitze der Protestbewegung in der Ex-DDR zu stellen — daß sie gleich nach unserem Angriff auf Rohwedder überlegt haben, ob sie die Montagsdemonstrationen stoppen sollen, paßt genau in diese Linie.

„Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie...“

Sie nennen unsere Aktion „politisch katastrophal“, weil sie Angst davor haben, daß wir auch von Menschen in der Ex-DDR verstanden werden. Waigel kommt dann gleich mit der Drohung hinterher, daß, wenn die Streiks und Demonstrationen dort weitergehen, das ein Investitionshindernis für die Konzerne ist.

Aber damit viele Menschen dort überhaupt nicht erst anfangen, sich mit der Aktion, unserer Politik und Vorstellung überhaupt auseinanderzusetzen, spuckt der Gehirnwäsche- Apparat vom ersten Moment an diesen Quatsch aus, wir würden an der langen Leine des Stasi laufen.

Wir haben es schon in der Erklärung zu der Aktion gegen Neusel gesagt: Wir alle, die für ein menschliches Leben in Würde und frei von Herrschaft kämpfen, müssen es anpacken, zur gemeinsamen Kraft zu werden.

Gerade heute, wo der Imperialismus Schlag auf Schlag landet, um seine neue Weltordnung den Völkern hier wie im Trikont aufzuzwingen (der Krieg am Golf; die Entwicklung zu Großdeutschland; die harte Haltung gegen die Kämpfe unserer gefangenen GenossInnen; die Versuche des Staats, jeden selbstbestimmten Raum von Menschen zu zerstören bzw. von vornherein zu verhindern), muß eine revolutionäre Bewegung in der Lage sein, überall präsent zu sein. (...)

Überhaupt geht es uns darum, neben den strategischen Angriffen wie jetzt dem gegen Rohwedder, auch in der Lage zu sein, mit konkreten Forderungen in die aktuelle Auseinandersetzung zu intervenieren — wie beispielsweise mit der Aktion gegen die US-Botschaft. Wir wollen uns zusammen mit anderen dafür organisieren, Kampfphasen zu bestimmen und die gemeinsamen Ziele durchzusetzen. Das können wir uns mit allen vorstellen, die die Wirklichkeit im Kapitalismus als erdrückend empfinden und erfahren und anfangen, sich dagegen für ihre eigenen Vorstellungen zu organisieren und danach handeln. Die revolutionäre Bewegung muß eine reale und greifbare menschliche Perspektive entwickeln und dadurch zur Anziehung für alle, die dieses System als Unterdrückung erfahren, werden.

Es muß die Keimform einer neuen Gesellschaft entstehen, in der die Menschen anfangen, ohne Herrschaft und selbstbestimmt zusammenzuleben. Selbstbestimmt heißt für uns z. B. auch, nicht immer bloß zu wiederholen, daß es jede Menge Fragen darüber gibt, wie der revolutionäre Prozeß weitergehen muß: Selbsbestimmung heißt auch anzufangen Antworten zu suchen; die ganze Verantwortung dafür, wie der Umwälzungsprozeß weiterentwickelt wird, liegt bei jeder/m, und jede/r muß diese Verantwortung auch wollen.

„...unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht“

Wer sich dafür entscheidet, kann die aufgedrückten Ohnmachtsgefühle überwinden und sich die wirklichen Probleme vorknöpfen, um Schritt für Schritt Lösungen zu suchen und zu finden.

Das schließt ein, bei erfahrenen Niederlagen nicht am Boden liegen zu bleiben, sondern wieder aufzustehen und nach neuen Wegen zu suchen: Nur dadurch kann Kontinuität und Identifizierbarkeit einer revolutionären Bewegung entstehen.

Die Niederlage vom Hungerstreik89 der politischen Gefangenen, als trotz größter Mobilisierung, die es hier jemals zu einem Streik gegeben hat, der Staat an der harten Haltung festhielt und die GenossInnen mit ihren Forderungen nicht durchkamen, wirkt bis heute nach. Die wirkliche Niederlage für die Linke ist nicht, daß die Mobilisierung für die Durchsetzung der Forderungen zu schwach war, sondern daß die meisten das Ziel danach losgelassen haben und deshalb aus dieser Erfahrung auch nur Ohnmacht ziehen können.

Für jede revolutionäre Bewegung auf der Welt ist es eine Frage der eigenen Identität, Wege zur Freiheit der politischen Gefangenen zu suchen. Eine revolutionäre Bewegung, der die Gefangenen nicht am Herzen liegen, kann es nicht geben.

Der Weg zur Freiheit der politischen Gefangenen führt über die Durchsetzung ihrer Zusammenlegung.

Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht.

Die Bedingungen für menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben im Kampf gegen die reaktionären großdeutschen und westeuropäischen Pläne zur Unterwerfung und Ausbeutung der Menschen hier und im Trikont durchsetzen.

4. April 1991

Rote Armee Fraktion

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