DOKUMENTATION: Vorwärts zu alten Ufern?
■ Jutta Ditfurth nach ihrem langen Abschied von den Grünen
taz: Nach mehr als zehn Jahren aktiver Arbeit verläßt Jutta Ditfurth die Grüne Partei. Mit welchem Gefühl geht sie aus dieser Partei heraus, mit Bitterkeit, Resignation, Erleichterung, Wut?
Ditfurth: Mit einem guten, befreiten Gefühl und einem großen Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den Grünen. Die Grünen sind für politische Veränderungen, die wir wollen, einfach nicht mehr wichtig, sondern eher deren Gegner. Für mich bestand der eigentliche Lösungsprozeß darin, zu erleben, wie Leute innerhalb der Grünen Positionen aufgegeben und Strukturen zerschlagen haben, an denen ich gehangen habe und die für eine emanzipatorische Politik lebensnotwendig sind. Wir nehmen nun das Beste, was wir in den Grünen erarbeitet haben, in die „Ökologische Linke“ mit: radikalökologische und feministische Positionen, viele allgemeine politische Erfahrungen und theroretische Erkenntnisse und ein stabiles soziales Netz.
Mit dem Austritt aus den Grünen habt ihr am vergangenen Wochenende gleichzeitig die Gründung einer neuen Organisation beschlossen. Was ist diese „Ökologische Linke“ anderes als ein Fanklub rund um Jutta Ditfurth?
Das ist dieses dusselige Medienbild, daß es sich dabei um einen Ditfurth-Flügel handelt. Das ist eine Beleidigung all der Leute, die dabei sind. Natürlich habe ich mein Promi- Sein ausgenutzt, um dem Ganzen eine gewisse Öffentlichkeit zu geben, aber das Vorhaben, eine ökologische, linke, alternative Liste aufzubauen, wäre ohne mich genauso gelaufen.
„Ökologisch, links, alternativ“, dazu noch antikapitalistisch — das sind programmatische Schlagworte wie aus dem einstigen Gründungsprogramm der Grünen. Fängt Jutta Ditfurth jetzt wieder da an, wo sie vor mehr als zehn Jahren auch schon war?
Nein. Ich glaube nicht, daß es jemals einen Schritt zurück in der Geschichte geben kann. Die Gründung der Grünen vor elf Jahren geschah auch vor dem Hintergrund des Deutschen Herbstes, des Niedergangs der Anti-AKW-Bewegung und zunehmender staatlicher Repression. Wir hatten im Gegensatz zu Teilen der dogmatischen Linken gelernt, daß wir in diesem Land Politik am besten dann machten, wenn wir versuchten, radikale Politik zu popularisieren und bündnisfähig zu sein. Insofern gibt es gewisse Ähnlichkeiten, als mich ein sehr homogenes linkes Projekt ziemlich langweilen würde — auch weil es keine große gesellschaftliche Wirkung entfalten würde. Wir wollen Menschen und Bewegungen auf der Basis von radikal-ökologischen, feministischen, ökosozialistischen, ökoanarchistischen und basisdemokratischen Grundanschauungen eine Zusammenarbeit bieten.
Nur hat sich in den letzten zehn und vor allem in den letzten zwei Jahren die politische Landschaft rapide verändert. Die Linken mußten unter anderem den Zusammenbruch des realen Sozialismus zur Kenntnis nehmen. Welche Konsequenzen zieht eine Jutta Ditfurth daraus?
Ich habe meine Identität als Linke in der Auseinandersetzung und sogar in der Gegnerschaft zu dem realexistierenden Sozialismus gebildet. Unsere Ideen von Feminismus, Selbstbestimmung auch der Arbeit und radikaler Ökologie standen konträr zum Modell der bürokratischen Kommandowirtschaft. Ich habe immer das Gefühl von Erleichterung und Befreiung gehabt, daß dieses bürokratische, stalinistische Modell gescheitert ist. Ich sehe mich selber — nicht als Person, aber von den politischen Ansätzen her — eher in der Tradition von Luxemburg, Bloch oder Dutschke. Ich finde es unabdingbar für Politik, konkrete Utopie zu formulieren, aber nicht, wie es Teile der Linken gemacht haben, als dogmatische, fixe Bilder von fertigen Gesellschaften, die selbsternannte Avantgarden vor sich her tragen. Ich setze auf Prozesse. Politik machen heißt für mich, Situationen zu schaffen, daß Menschen ihre Interessen selber in die Hand nehmen, Leute anfangen zu begreifen, daß die Bedingungen, unter denen sie leben und leiden, nicht so sein müssen, wie sie sind.
Gab es denn überhaupt in den letzten zehn Jahren Punkte, wo du deine eigenen politischen Vorstellungen revidiert hast, wo du meinst, geirrt zu haben?
Bezogen auf die utopischen Grundwerte, wie Selbstbestimmung, Befreiung von Arbeit, Emanzipation der Geschlechter, habe ich überhaupt keinen Anlaß gehabt, irgend etwas zu verändern. Was andere Punkte angeht, ja. Unterschätzt habe ich — trotz Parlamentarismus- Analyse und antiparlamentarischer Position —, wie schnell sich Menschen in parlamentarischen Ämtern, trotz basisdemokratischer Regeln, anpassen und von der Anerkennung der herrschenden Meinung freiwillig abhängig werden.
Nur Jutta Ditfurth ist — egal, was auch immer passiert — dieselbe geblieben?
Ich entwickle mich, ich werde älter, mache Erfahrungen, aber in meinen Grundanschauungen gibt es keinen Bruch.
Eure am Wochenende beschlossene Liste will sich vordringlich auf außerparlamentarische Bewegungen stützen. Wo sollen die denn im Jahr 1991 sein?
Bewegungen sind für mich nicht etwas, was da ist oder nicht da ist, sondern sie entwickeln sich wellenförmig. Ich brauche nicht die Garantie, daß das, was ich beginne, über zehn oder zwanzig Jahre meinen Vorstellungen entsprechen muß. Ich setze auf Prozesse, die immer widersprüchlich sind und immer auch das Scheitern in sich tragen und daraus immer Neues entsteht.
Darf's bitte etwas konkreter sein?
Es gibt in dieser Bundesrepublik schon seit einiger Zeit eine immer größer werdende konstruktive Unzufriedenheit in vielen Alternativprojekten und Widerstandsinseln — ob es nun Holzkooperativen, Gentechnik-KritikerInnen oder gewerkschaftliche Arbeitskreise sind. Es gibt ganz viele Ansätze, aber auch ein ganz großes Maß an Parzellierung, Flucht ins alternative Fachidiotentum und in falsche Zufriedenheit. Das bricht aber seit einiger Zeit ganz verblüffend auf, ich begegne immer wieder Leuten, die sagen, wir wollen unsere Arbeit auf eine andere Ebene kriegen und das mit anderen Themen verbinden. Unser Hauptansatz ist, organisatorische und inhaltliche Angebote zu schaffen, um diese isolierten Ansätze an einen Tisch zu kriegen für eine handlungsfähige außerparlamentarische Opposition.
Nun habt ihr ja kein Diskussionsforum gegründet, sondern eine Partei, eine Liste. Wo seht ihr potentielle Bündnispartner, in der PDS?
Bündnisparter gibt es überall im Land. Mit der PDS als Ganzes und besonders mit ihren starken sozialdemokratischen und kleinbürgerlichen Milieus können wir nichts anfangen. Aber wenn Linke aus der AG „Junge Genossen“ mit uns zusammenarbeiten würden, würde uns das freuen.
Mit oder ohne vorherigen Austritt aus der PDS?
Wir sind noch so sehr am Anfang, daß wir noch nicht einmal darüber nachgedacht haben, ob irgend jemand irgendwo austreten muß, um bei uns einzutreten. Wir hätten aber politisch nichts dagegen, wenn die PDS sich auflösen würde.
Aber es hat Gespräche mit der PDS gegeben.
Nein. Das ist ein Tratsch, der vom Kreis um Fischer und dem 'Spiegel‘ rumgetragen wird.
Und die Grünen als Partner?
Es werden sicher noch ein paar Leute bei den Grünen bleiben, mit denen ökologische Linke vor Ort zusammenarbeiten können, aber das werden nicht mehr viele sein.
Mit wie vielen „Überläufern“ von den Grünen rechnet ihr?
Einige tausend Aktive werden gehen, und ich hoffe, daß sie möglichst alle zu uns kommen. Aber genau kann ich das jetzt nicht sagen, denn wir sind ja erst am Anfang.
Nehmen wir an, eure Liste würde sich jetzt zur Bundestagswahl stellen. Wie wäre das Ergebnis?
Es gibt noch nicht einmal eine Verständigung darüber, ob wir überhaupt bei den Bundestagswahlen antreten wollen. Die Reaktionen nach unserem Gründungstreffen waren jedenfalls bombastisch, und wenn das so weitergeht, bin ich sehr optimistisch. Aber das Ziel unserer schlaflosen Nächte ist nicht die Bundestagswahl, sondern der Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht. Interview: Vera Gaserow
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