DOKUMENTATION: Die konservative Linke
■ Michael Walzer über die neue Weltordnung und die Probleme der Linken
Der Krieg ist vorbei, aber gehen wir in Richtung auf einen Frieden? Im folgenden geben wir die Ergebnisse eines Gespräches mit Michael Walzer wider, das er mit dem italienischen Journalisten Gianni Riotta führte. Trotz aller Zweifel und Bedenken zögert er nicht, von der „Linken“ als einem lebendigen Begriff zu sprechen. Zu Beginn des Krieges hatte Walzer einen Text mit dem Titel „Perplexed“ in der Zeitschrift 'The New Republic‘ veröffentlicht. In der Rückschau beginnt Walzer just an diesem Punkt, an seinen Verunsicherungen.
„Ja, ich war verunsichert. Alle — und nicht nur Intellektuelle — fühlten sich veranlaßt, Position zu beziehen; und die Linke war zutiefst gespalten. Mein Artikel zielte darauf, wenigstens teilweise die Konfusion zu klären und auf die Gründe aufmerksam zu machen, die in jenem Sektor unserer Gesellschaft, der Linken eben, Ursache für die Verunsicherung waren.“
„Der erste Grund bestand darin, daß dieser Krieg — im Unterschied zum Vietnamkrieg — auch von vielen Linken als ein gerechter Krieg angesehen wurde. Der Fall Vietnam lag ganz anders, denn jener Konflikt bezog sich auf ein begrenztes Gebiet, und die Gefahr, er könne sich darüber hinaus ausweiten, bestand praktisch nie (es sei denn durch weitreichende militärische Entscheidungen Amerikas, die es zum Glück aber nicht gab). Wir kämpften ,in Vietnam‘ und, wie man behauptete, ,für Vietnam‘ gegen eine ständig wachsende Mehrheit des Volkes. Das war ein ungerechter Krieg. Mit den Operationen ,desert shield‘ und dann ,desert storm‘ kämpften die Vereinigten Staaten jedoch gegen die irakische Nation und ihren Diktator, um die Rechte und das Überleben eines anderen souveränen Staates zu garantieren. Unter ethischen Gesichtspunkten kann man sich keine edlere Sache und keinen verwerflicheren Gegner vorstellen. Aber dieser Krieg barg in sich die große Gefahr einer unkontrollierbaren Ausweitung. Ich betone, der Krieg gegen den Irak hätte sehr gefährlich werden können.“
„Bei der anfänglichen Abwägung der Legitimität des kriegerischen Konflikts erinnerte ich daran, daß der Widerstand gegen eine Aggression aus Notwehr und um dem Opfer zu Hilfe zu kommen, die klassischen Beispiele eines gerechten Krieges sind, ethische Begründungen für einen Kampf. Clausewitz sagte einmal, die Invasoren seien immer friedliebend, denn sie wünschen sich nichts sehnlicher, als daß sie ins Nachbarland einmarschieren können, ohne auf Widerstand zu treffen. Es liegt am Opfer und seinen Freunden, sich zu wehren. Das verbreitete Vorurteil der Linken, das feudale Kuwait würde keinen Krieg lohnen, denn es habe keine demokratische Regierung, schien mir immer irrelevant. Es ist gut, wenn das Feudalsystem verschwindet, aber das ist Sache der Kuwaitis, und nicht des Irak.“
„Am wenigsten begründet von all meinen Unsicherheiten erwies sich die bezüglich der Armee. Als ich den Oberbefehlshaber der Truppen, General Schwarzkopf, im Fernsehen sah, kam mir sein Kollege in Vietnam, Westmoreland, in den Sinn: Schwarzkopf ist ein Profi, der weiß, was er tut, Westmoreland war ein Fisch auf dem Trockenen. Nein, nein, ich glaube nicht, daß das nur das Resultat von Kursen in public relations war, die das Pentagon für die Offiziere durchgeführt hatte. Es geht da um mehr und um Wichtigeres. Unsere Ängste waren falsch, weil sie sich an ein Bild aus der Vergangenheit klammerten. Nehmen wir die Ankündigung Schwarzkopfs, die Piloten hätten Order, mit den Bomben zur Basis zurückzukehren, wenn es ihnen nicht gelingen sollte, ihr Ziel zu treffen. Das scheint nur ein winziges Detail, aber das stimmt nicht. Im Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg warfen unsere Piloten, wenn es ihnen nicht gelang, die Ziele zu treffen, die Bomben irgendwo ab, und sie verursachten auch militärisch vollkommen unnütze Opfer und Schäden. Daß der Krieg gegen den Irak bei der Bevölkerung eine ungleich größere Zustimmung erhielt, lag auch an Details wie diesem.“
„Nach der irakischen Invasion in Kuwait haben wir eine Reihe beispielloser Ereignisse beigewohnt: Araber marschierten in ein anderes arabisches Land ein, die Saudis baten eine fremde Armee um Hilfe, Ägypter und Syrer bildeten eine Front mit den Alliierten, Israel übte keine direkten Repressalien aus. Sollte sich in der Westbank eine neue palästinensische leadership bilden, nachdem sich Arafat und die Führung der PLO durch ihre Parteinahme für Saddam total diskreditiert haben, warum sollten dann nicht erneut Verhandlungen zwischen Arabern und Israelis ohne Vorbedingungen möglich sein?“
„Diese Möglichkeit a priori ausschließen zu wollen, führt in eine jener Sackgassen, für die unsere linke Kultur eine besondere Vorliebe zu haben scheint. Ein Linker müßte sich doch — eingedenk der Tatsache, daß die Chance möglicher Verbesserungen ebensoviel gilt wie das Risiko einer Verschlechterung — von Veränderungen angezogen fühlen. Aber die Linke bewegt sich nicht. Nehmen wir die ,neue Weltordnung‘ von Bush, die seine Berater gerade für die Zeit nach dem Kalten Krieg ausarbeiten. Die Linke schließt a priori aus, daß die amerikanische Diplomatie irgend etwas Vernünftiges unternehmen könnte und lehnt alles ab. Statt sich die Details der Gegenwartsgeschichte anzusehen, die Optionen dieser ,neuen Weltordnung‘ zu analysieren und zu kritisieren, verweisen die Linken auf Vietnam und Panama und hoffen so, den Teufel Bush auszutreiben. Es ist, als müßten wir zwangsläufig die Fehler der Vergangenheit noch in die Zukunft fortschreiben. Aber so liegen die Dinge nicht. Der Golfkrieg ist der schlagende Beweis dafür. Die Linke, und hier spreche ich von den USA, aber mir scheint, man kann auch Europa in dieses Urteil einschließen, war unfähig zu erkennen, daß sich neue Allianzen bilden können, daß im Rahmen der UNO und mit den arabischen Staaten Übereinkünfte gefunden werden können. Bushs Stärke läßt sich auch so erklären: Er hat an eine dynamische Welt geglaubt, an die Möglichkeit, gestaltend in die Ereignisse eingreifen zu können, während die Linke wie erstarrt in den Fehlern der Vergangenheit gefangen blieb.“
„Will man eine globalere Erklärung für diese Erstarrung der Linken finden, dann müssen wir noch einmal in die 60er Jahre zurückgehen, als sich auf seiten der Linken die Popularität und, wenn wir so wollen, der Mythos von Castro, Vietnam, der PLO und den Sandinisten herausbildete. Man glaubte, diese Führer und Bewegungen wären der Faktor einer Veränderung in der Dritten Welt, und leider wirkt dieses Gefühl bis heute nach, vielleicht nicht bewußt, zumindest aber auf der Ebene populärer Phantasien. Unser Gefühl für Bündnisse beruht bis heute auf diesen Grundannahmen, die in Wirklichkeit vollkommen in die Brüche gegangen sind. Es ist praktisch unmöglich, sich diese Führer und Bewegungen als Faktoren eines Fortschritts und von Veränderungen vorzustellen, aber die Linke hat keine anderen Gesprächspartner. Eine der völlig verrückten Erbschaften der Linken aus den 60er Jahren ist das Mißtrauen gegenüber pragmatischen Programmen, sozialdemokratischen und sogar reformistischen Kräften, die sich in der Dritten Welt bemühen.“
„Es ist ganz offensichtlich, daß die Kirche versucht, die Räume, die von anderen Initiativen, speziell auf der Linken, freigelassen werden, zu besetzen, und sich, sozial gesehen, nach links bewegt. Dabei spreche ich insbesondere von der katholischen Kirche. Die katholische Kirche in Amerika wird mehr von dem beeinflußt, was in Amerika geschieht, als von den Phantasmen in Vietnam, die die Linke beherrschen. Aber die Wirkungen sind ähnlich. Als die Kirche erklärte: ,Es gibt keinen gerechten Krieg‘, da bedeutete das eine radikale, beispiellose pazifistische Wende. Ich halte es wirklich für sehr gefährlich für die Linke, für die Parteien und demokratischen Bewegungen, die es mit der realen konkreten Welt zu tun haben, mit ihren Widersprüchen und Möglichkeiten, wenn sie zugunsten der spirituellen Führer auf ihren Anspruch verzichten. Deren Initiativen sind natürlich absolut legitim, aber ihre Ziele unterscheiden sich vollkommen von den unseren. Es ist beunruhigend, wenn die neu entstandene Demokratische Partei der Linken (PDS) in Italien, die Ex-KPI, die leadership in Grundfragen den Geistlichen überläßt, anstatt nach einem eigenen Weg zu suchen. Die Kleriker, ich wiederhole es, kümmert die Politik nicht, sie verfolgen eigene Ziele.“ Michael Walzer
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