DOKUMENTATION: Verbohrtes Weltbild
■ Zur Lage im befreiten Kuwait und zur Zukunft des Emirats
Im April, sechs Wochen nach der Befreiung des Landes, verkündete der einsiedlerische Emir von Kuwait endlich, daß einige seiner Landsleute irgendwann im nächsten Jahr möglicherweise wählen dürfen, „so Gott will“. Jetzt steht ein Datum so gut wie fest: im Oktober. Doch sein Versprechen ist nebulös und der Traum von politischer Freiheit noch weit entfernt. Nach wie vor herrscht Kriegsrecht; der Presse ist ein Maulkorb verpaßt; Versammlungen von Oppositionellen sind verboten. Und die Herrscherfamilie, die dank immenser internationaler Anstrengungen wieder an der Macht sitzt, scheint sich vorerst nur um eines Sorgen zu machen: um die Wiederherstellung alter Privilegien. Ohne sich um Proteste groß zu kümmern, hat die kuwaitische Regierung Kriegsgefangene gegen deren Willen in den Irak abgeschoben — eine klare Verletzung einer Übereinkunft zwischen den Koalitionspartnern. Kuwaits Reputation leidet zudem unter Hinrichtungen von vermeintlichen oder tatsächlichen Kollaborateuren, deren unidentifizierte Leichen in ein Massengrab geworfen wurden. Einer von mehreren Racheakten, für die bislang niemand zur Rechenschaft gezogen worden ist.
Wen will es da wundern, daß sich die 200.000 Kuwaitis, die die achtmonatige Besetzung durch die Irakis ertragen haben, betrogen fühlen. Diese Menschen nennen sich selbst die Insider, und bezeichnen jene, die geflohen waren, als Runner. Was erstere fordern, erscheint nach westlichem Verständnis kaum radikal: freie Presse, minimale Rechtssicherheit, Wahlrecht für Frauen. Kühnere Stimmen fordern gar das Wahlrecht für Kuwaitis zweiter Klasse: Das sind all jene, deren Familien erst nach 1920 Bürger des Landes wurden.
Die herrschende Sabah-Familie erklärt, sie werde über all das ein wenig nachdenken und dem Volk vielleicht ein oder zwei Krumen hinwerfen. Nur drohen selbst solche Konzessionen, willkürlich abgelehnt zu werden. Schon einmal, 1962, war Kuwait das einzige arabische Land in der Golfregion, das sich eine Verfassung und ein gewähltes Parlament schuf — allerdings war das Wahlrecht einem, natürlich männlichen, Zehntel der gesamten Bevölkerung vorbehalten. 1976, und ein zweites Mal 1986, löste der Emir von Kuwait die Nationalversammlung wieder auf, unter anderem weil sich das Nachbarland Saudi-Arabien alarmiert über so viel Freiheit zeigte.
Was den Fortschritt blockiert, ist ein verbohrtes Weltbild. Die Scheichs am Golf betrachten ihre Länder als Firmen im Familienbesitz. Eine wachsende Mittelschicht fragt sich, mit welchem Recht. Die USA haben durchaus ihre Rolle in dieser Auseinandersetzung. Der Krieg ist dort nicht geführt worden, um den Feudalismus am Golf zu sichern. Stabilität in der Region ist unwahrscheinlich und Gerechtigkeit unmöglich, wenn sich Erbdynastien der berechtigten Forderung nach Veränderung widersetzen. Internationale Kritik hat bereits dafür gesorgt, daß Angeklagten, die der Kollaboration verdächtigt werden, vor den Kriegsgerichten wenigstens minimale Prozeßrechte gewährt werden. Jetzt muß weiter geschrien und protestiert werden — und zwar so laut, daß es auch durch die schalldichten Paläste in Kuwait-City dringt. 'New York Times‘
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