DOKUMENTATION: Kodex gegen Anmache
■ EG beschloß Verhaltensregeln gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Mit einem Kodex gegen sexuelle Belästigung will die Europäische Gemeinschaft Frauen am Arbeitsplatz schützen. Auf Initiative von Sozial- Kommissarin Papandreou beschloß die EG-Kommission am Mittwoch einen Maßnahmenkatalog zum „Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz“. Der Kodex besteht aus einer Reihe von Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten, aber auch an Arbeitgeber, Gewerkschaften und Angestellte, wie sie auf das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz aufmerksam machen und was sie dagegen tun können. Die weitere Umsetzung bleibt allerdings den einzelnen Ländern und ihrer Gesetzgebung überlassen. Wir dokumentieren den Kodex in Auszügen.
Artikel 1
Es wird empfohlen, daß die Mitgliedsstaaten Schritte einleiten, um das Bewußtsein zu fördern, daß jedes Verhalten sexueller oder mit Sexualität zusammenhängender Art, das die Würde arbeitender Frauen und Männer verletzt, einschließlich des Verhaltens von Vorgesetzten und Kollegen, nicht akzeptiert werden kann, wenn:
a) ein derartiges Verhalten unerwünscht, unangemessen und für den Betroffenen beleidigend ist;
b) die Ablehnung oder Hinnahme eines derartigen Verhaltens von Arbeitgebern oder Beschäftigten (einschließlich Vorgesetzten und Kollegen) durch eine Person explizit oder implizit einer Entscheidung zugrunde gelegt wird, die sich in Fragen der Weiterbildung, Einstellung, Weiterbeschäftigung, Beförderung, Gehaltserhöhung oder anderen Fragen auf diese Person auswirkt;
und/oder
c) derartiges Verhalten für den Betroffenen zu einer einschüchternden, feindseligen oder entwürdigenden Arbeitsatmosphäre beiträgt;
und daß derartiges Verhalten unter bestimmten Bedingungen als Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bedeutungsrahmen der Artikel 3, 4 und 5 der Ratsdirektive 78/207/EEC vom 9.Februar 1976 über die Umsetzung des Prinzips der Gleichbehandlung von Frauen und Männern in bezug auf Beschäftigung, Weiterbildung, Beförderung und Arbeitsbedingungen gilt.
Artikel 2
Es wird empfohlen, daß die Mitgliedsstaaten im öffentlichen Sektor Schritte einleiten, um den im Anhang vorliegenden Verhaltenskodex der Kommission in Fragen des Schutzes der Würde arbeitender Frauen und Männer umzusetzen. Das Vorgehen der Mitgliedsstaaten bei der Initiierung und Verfolgung positiver Maßnahmen zur Schaffung einer Arbeitsatmosphäre, in der Frauen und Männer wechselseitig ihre menschliche Integrität respektieren, sollte als Beispiel für den privaten Sektor geeignet sein.
Artikel 3
Es wird empfohlen, daß die Mitgliedsstaaten Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter ermutigen, Maßnahmen zu entwickeln, um den Verhaltenskodex der Kommission in der Frage des Schutzes der Würde arbeitender Frauen und Männer umzusetzen.
Artikel 4
Die Mitgliedsstaaten sollen die Kommission innerhalb von drei Jahren nach Veröffentlichung dieser Empfehlung über die Maßnahmen informieren, die zur Umsetzung der Empfehlung eingeleitet wurden, um der Kommission die Möglichkeit zu geben, einen Bericht über sämtliche eingeleiteten Maßnahmen zu entwerfen. (...)
Definitionen:
„Die sexuelle Belästigung stellt ein unangemessenes Verhalten mit sexueller Zielrichtung dar oder jedes andere sexuelle Verhalten, das die Würde der Frau oder des Mannes bei der Arbeit verletzt. Dies gilt für jedes belästigende körperliche, verbale oder nonverbale Verhalten. (...)
Das wesentliche Merkmal sexueller Belästigung besteht darin, daß es von der Person, der es gilt, als unangemessen empfunden wird. Jeder einzelnen Person selbst kommt es zu, zu bestimmen, welches Verhalten sie als annehmbar oder belästigend empfindet. Sexuelles Interesse wird erst dann zu sexueller Belästigung, wenn die betroffene Person klar gezeigt hat, daß sie es als beleidigend empfindet. Auch ein einziger Vorfall kann schon einen Akt sexueller Belästigung darstellen, wenn er schwerwiegend genug ist. Die sexuelle Belästigung unterscheidet sich durch ihre Unangemessenheit und Unerwünschtheit von freundschaftlichen und auf Gegenseitigkeit beruhenden Verhaltensweisen. (...)
Vorgehensweisen:
„Die Ausarbeitung klarer und genauer Vorgehensweisen in Fällen sexueller Belästigung ist von großer Wichtigkeit. (...) Die meisten Opfer sexueller Belästigung wünschen in erster Linie, daß die Belästigung aufhört. Es wären also offizielle und informelle Methoden zu entwickeln, die zur Lösung dieser Probleme führen. (...)
Zu empfehlen ist die Anwendung offizieller Vorgehensweise für Klagen und die Untersuchung von Klagen in Fällen, wo es nicht mehr möglich ist, das Problem auf informelle Weise zu lösen, das heißt, wenn informelle Lösungsversuche fehlgeschlagen oder unbefriedigend verlaufen sind. (...)
Es gehört zur Eigenart sexueller Belästigung, daß der normale Klageweg oft erschwert ist, weil die Opfer der Belästigung aus Scham, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, oder aus Angst vor Racheakten, aus Sorge um ihren guten Ruf oder um das Arbeitsklima Vorbehalte haben. Daher sollte die offizielle Regelung die Person festlegen, bei der die Klage hinterlegt wird. Es sollte die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels vorgesehen werden, falls bestimmte Umstände es nicht erlauben, den normalen Klageweg zu beschreiten, zum Beispiel weil die angeklagte Person dem Kläger oder der Klägerin vorgesetzt ist. Ferner sollte es klagenden Personen möglich sein, die Klage bei einer Person des eigenen Geschlechts zu hinterlegen, falls sie es wünschen. (...)
Untersuchungen:
Es ist wichtig zu gewährleisten, daß die internen Untersuchungen im Rahmen einer Klage mit Takt und unter Achtung sowohl gegenüber der klagenden als auch gegenüber der angeklagten Personen zu führen sind. Die Untersuchungen sollen unabhängig und objektiv sein. Die Personen, die die Untersuchungen führen, sollen in keiner Weise mit den Parteien oder Vorgängen in Beziehung stehen. Die Untersuchungen sollen möglichst schnell geführt werden. (...)
Es ist als eine empfehlenswerte Verfahrensweise anzuraten, daß die klagende und die beklagte Person sich vertreten lassen können, zum Beispiel durch Gewerkschaftsvertreter, Freunde oder Kollegen. Die beklagte Person soll von allen Details der Klage informiert sein und darauf antworten können. Alle Untersuchungen, die auf eine Behauptung zurückgehen, sollen von Anfang bis Ende in strenger Vertraulichkeit geführt werden. Auch bei der Befragung von Zeugen ist dieser Aspekt hervorzuheben.
Die Untersuchung sollte sich auf die Fakten konzentrieren, und der Arbeitgeber sollte ein Abschlußprotokoll über alle Sitzungen und Untersuchungen aufbewahren. (...)
Disziplinarverfahren:
Disziplinarregeln sollten klar festlegen, was als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu betrachten ist, wobei die Höhe und Schwere der Strafen für das Fehlverhalten festgelegt werden sollten. Ferner sollten alle Repressionen gegen Beschäftigte, die eine Klage gegen sexuelle Belästigung anstrengen, disziplinarisch geahndet werden.
Wenn eine Klage sich als berechtigt erwiesen hat und es notwendig erscheint, eine der beiden Parteien zu versetzen, so sollte es den Klagenden ermöglicht werden zu wählen, ob sie ihre Stelle behalten oder den Arbeitsplatz wechseln wollen. Selbst wenn einer Klage aus Mangel an Beweisen nicht stattgegeben wird, wäre ein Arbeitsplatzwechsel für eine der beiden Parteien der weiteren Zusammenarbeit vorzuziehen. (...)
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