piwik no script img

DOKUMENTATION„Wir werden führen... und für Frieden sorgen!“

■ George Bush über die „historische Chance“ zur atomaren Abrüstung

Die Welt hat sich in einem phantastischen Tempo verändert. Jeder Tag füllt eine neue Seite im Buch der Geschichte, noch ehe die Tinte vom Tag zuvor getrocknet ist. [...] Aber dieser dramatische Wandel stellt auch unsere Nation vor Herausforderungen. Unser Land ist immer für Freiheit und Demokratie eingetreten. Als die neugewählten Führer Osteuropas um die Schaffung ihrer neuen Regierungsform kämpften, blickten sie auf die Vereinigten Staaten. Bei der Bildung ihrer eigenen freien Gesellschaften sahen sie auf die demokratischen Grundsätze Amerikas. [...]

Heute muß Amerika wieder führen — wie es schon immer geführt hat, und wie es nur dieses Land kann. Und wir werden führen. Ebenso müssen wir für Anstöße zu einem dauerhaften Frieden sorgen. Und auch das werden wir tun. Wir können nun Schritte vornehmen, die auf die dramatische Entwicklung eine Antwort geben — Schritte, die den sowjetischen Völkern in ihrem Streben nach Frieden und Wohlstand helfen können. Und noch wichtiger — wir können jetzt Schritte unternehmen, die Welt zu einem weniger gefährlichen Ort zu machen als je zuvor im atomaren Zeitalter.

Atomwaffen dramatisch schrumpfen lassen

Die neuen Führer im Kreml und in den Republiken stellen nun die Notwendigkeit ihres riesigen Atomarsenals in Frage. Das sowjetische Atomwaffenarsenal scheint nun weniger ein Instrument der nationalen Sicherheit als eher eine Last zu sein. Als Ergebnis dieser Lage haben wir nun eine unvergleichliche Gelegenheit, die nukleare Stellung sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Sowjetunion zu ändern.

Wenn wir und die sowjetischen Führer die richtigen Schritte machen — einige auf unserer, einige auf ihrer Seite und einige gemeinsam — können wir das Arsenal der Atomwaffen in der Welt dramatisch zusammenschrumpfen lassen. Wir können die Verbreitung von Atomwaffen wirksamer abwehren. Wir können in unserer strategischen Beziehung mehr auf Verteidigungsmaßnahmen vertrauen. Wir können die Stabilität fördern und die Gefahr eines Atomkriegs tatsächlich verringern. Nun ist es an der Zeit, diese Gelegenheit zu ergreifen.

Nach sorgfältiger Untersuchung und Unterredungen mit meinen wichtigsten Beratern sowie nach der Erwägung wertvollen Rates von Premierminister Major, Präsident Mitterrand, Kanzler Kohl und den Führern anderer verbündeter Staaten, verkünde ich heute eine Reihe von weitgehenden Initiativen, die jeden Bereich unserer Atomstreitkräfte betreffen — zu Land, auf See und in Flugzeugen. [...] Ich will mit der Kategorie beginnen, in der wir die weitestgehenden Änderungen der Atomstreitkräfte seit mehr als 40 Jahren unternehmen — den nichtstrategischen Waffen für den Kriegsschauplatz. Im vergangenen Jahr habe ich die US-Pläne zur Modernisierung unserer bodengestützten taktischen Atomwaffen aufgegeben. Später schlossen sich uns unsere Nato-Verbündeten mit der Ankündigung an, daß die Allianz den beiderseitigen Abzug aller atomaren Artilleriegranaten aus Europa vorschlagen werde, sobald mit der Sowjetunion Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen beginnen würden. Aber ein Beginn dieser Gespräche würde diese Systeme nur auf Dauer erhalten, während wir uns in langwierige Verhandlungen einlassen. Die Ereignisse des letzten Monats erlauben nicht nur, sondern verlangen sogar ein schnelleres, kühneres Vorgehen. Ich erteile daher die Anweisung, daß die Vereinigten Staaten ihr gesamtes Inventar an bodengestützten taktischen Atomwaffen kurzer Reichweite weltweit vernichten. Wir werden alle unsere nuklearen Artilleriegranaten und Sprengköpfe für ballistische Kurzstreckenraketen nach Hause bringen und zerstören. Wir werden natürlich sicherstellen, daß wir in Europa ein wirksames atomares Potential für den Einsatz in der Luft beibehalten. Dies ist für die Sicherheit der Nato wesentlich.

Keine bodengestützen taktischen Atomwaffen

Dann habe ich die Sowjets gebeten, diesen Weg mit uns zu gehen — ihr gesamtes Inventar an bodengestützten taktischen Atomwaffen zu zerstören: nicht nur ihre nukleare Artillerie und Atomsprengköpfe für ballistische Kurzstreckenraketen, sondern auch Waffensysteme für den Kriegsschauplatz, die die USA nicht mehr hat, Systeme wie Atomsprengköpfe für Luftabwehrraketen und nukleare Landminen.

In weiterer Anerkennung der erheblichen Änderungen in der internationalen militärischen Landschaft werden die Vereinigten Staaten alle taktischen Atomwaffen von ihren Schiffen und Kampf-U-Booten abziehen, ebenso diejenigen Atomwaffen, die unseren Marineflugzeugen zu Lande zugeordnet sind. Dies bedeutet die Entfernung aller Tomahawk-Marschflugkörper von US- Schiffen und U-Booten sowie der Atombomben an Bord von Flugzeugträgern. Zumindest werden unsere Schiffe unter normalen Bedingungen keine taktischen Atomwaffen mehr mit sich führen.

Viele dieser land- oder seegestützten Sprengköpfe werden zerlegt und zerstört. Die verbleibenden werden in zentralen Gebieten sichergestellt, wo sie falls nötig für einen künftigen Krisenfall verfügbar wären. Wieder gibt es für die Sowjetunion alle Gründe, unseren Maßnahmen zu entsprechen, indem sie alle taktischen Atomwaffen von ihren Schiffen und Kampf-U-Booten abzieht, Atomwaffen aus ihren landgestützten Marineflugzeugen entfernt, viele von ihnen zerstört und die übrigen an zentralen Plätzen zusammenlegt. Ich bitte sie eindringlich, so zu verfahren.

Schnellere Abrüstung der strategischen Waffen

Keine Atomwaffenkategorie hat mehr Aufmerksamkeit gefunden, als diejenige unserer strategischen Arsenale. Der Vertrag über die Verringerung der Strategischen Waffen (START), den Präsident Gorbatschow und ich im vergangenen Juli unterzeichnet haben, war das krönende Ergebnis von fast einem Jahrzehnt Arbeit. Er verlangt wesentliche Verringerungen zur Stabilisierung und eine wirksame Überprüfung. Aber ich glaube auch, daß die Zeit gekommen ist, START als ein Sprungbrett zu nutzen, um zusätzliche stabilisierende Änderungen zu erreichen.

Erstens ordne ich für den weiteren Abbau von Spannungen an, daß alle strategischen Bomber der USA sofort auf ihre Alarmbereitschaft verzichten. Ich rufe die Sowjetunion dazu auf, in einer vergleichbaren Geste ihre mobilen Raketen an ihren Standorten zu belassen, wo sie sicherer und geschützter sind.

Zweitens werden die USA sofort die Alarmbereitschaft für alle ballistischen Interkontinentalraketen aufheben, die nach dem START-Vertrag abzubauen sind. Anstatt abzuwarten, bis der Abrüstungsplan des Abkommens den vorgesehenen Zeitraum von sieben Jahren durchlaufen hat, beginnen wir mit der Vernichtung der Waffen, sobald START ratifiziert ist. Ich rufe die Sowjetunion auf, dasselbe zu tun.

Drittens beende ich die Entwicklung der mobilen ballistischen Interkontinentalraketen des Typs „Peacekeeper“ genauso wie jene des mobilen Teils des Programms für kleine ballistische Interkontinentalraketen. Ich rufe die Sowjetunion auf, jedes und alle Programme für weitere ballistische Interkontinentalraketen mit mehr als einem Sprengkopf zu beenden und die Modernisierung ballistischer Interkontinentalraketen mit einem Gefechtskopf auf einen Typ von Raketen zu begrenzen — wie auch wir dies getan haben.

Viertens beende ich das gegenwärtige Programm der Entwicklung von Nachfolgemodellen für die atomaren Kurzstreckenangriffsraketen für unsere strategischen Bomber.

Fünftens werden die USA als Folge der Änderungen bei den strategischen Atomwaffen, wie ich sie gerade bekanntgegeben habe, ihre Kommando- und Kontrollmechanismen modernisieren, damit wir effektiver mit den strategischen Atomstreitkräften umgehen können. [...]

Raketen mit Mehrfach- sprengköpfen verbannen

Seit den 70er Jahren sind die Interkontinentalraketen mit mehr als einem Sprengkopf der verwundbarste und unsicherste Teil der atomaren Streitkräfte der USA und der UdSSR. Beide Seiten haben diese ballistischen Interkontinentalraketen in festen Silos in der Erde, wo sie verwundbarer sind, als auf U-Booten stationierte Raketen.

Ich schlage vor, daß die USA und die Sowjetunion möglichst schnell ein Abkommen anstreben, daß alle ballistischen Interkontinentalraketen mit mehreren Sprengköpfen aus ihren Arsenalen verbannt. Nach der Aufstellung eines für beide Seiten annehmbaren Zeitplans können wir sofort damit beginnen, diese Waffen unter schon im START-Abkommen entwickelten Verfahren zu verändern und abzuschaffen. Eine derartige Maßnahme würde den unsichersten Teil unserer Atomarsenale beseitigen. Aber es gibt noch mehr zu tun. Die Vereingten Staaten und die Sowjetunion sind nicht die einzigen Länder mit ballistischen Raketen. Etwa 15 Staaten besitzen sie inzwischen, und in weniger als einem Jahrzehnt könnte ihre Zahl auf 20 wachsen. Der Konflikt vor kurzem am Persischen Golf zeigt eindeutig, daß die Zeit für harte Maßnahmen gegen diese wachsende Bedrohung des Weltfriedens gekommen ist.

Dementsprechend rufe ich die sowjetische Führung auf, mit uns sofort konkrete Schritte zu unternehmen, um die begrenzte Indienststellung nichtnuklearer Verteidigungssysteme zu erlauben, zum Schutz gegen begrenzte Angiffe mit ballistischen Raketen jedweder Herkunft, ohne daß damit die Glaubwürdigkeit bestehender Abschreckungskräfte untergraben wird. Und wir werden unsere Anstrengungen intensivieren, die Weiterverbreitung von Atomwaffen und Raketen einzuschränken. Diese beiden Maßnahmen werden sich gegenseitig verstärken. Um die Zusammenarbeit zu verstärken, werden die Vereinigten Staaten schon bald zusätzliche Initiativen auf dem Gebiet der Frühwarnung vor ballistischen Raketen unternehmen. [...]

Regionale Unsicherheiten, die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Gebietsansprüche von machthungrigen Tyrannen — wie wir sie während des Golfkonflikts erlebt haben — verlangen es außerdem von uns, daß wir starke Streitkräfte beibehalten, um unsere nationalen Interessen zu schützen und um den Verpflichtungen gegenüber den Verbündeten nachzukommen. Deshalb müssen wir einen schlüssigen Plan für bedeutend kleinere, aber voll einsatzfähige Streitkräfte entwickeln... (ap)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen