DOKUMENTATION: Treten Sie zurück, Herr Rühe!
■ Offener Brief der IAF-Frauen an den Generalsekretär der CDU, Bonn
Sehr geehrter Herr Rühe,
wie Sie vielleicht schon an unseren Namen erkennen können, sind wir deutsche Frauen, die mit einem ausländischen Mann verheiratet sind und binationale Kinder haben. Viele unserer Kinder haben dunkle Haare und Augen, manche sind schwarz, andere sind braun und wieder andere weiß.
Nicht wenige von uns haben Verwandte hier, die aus den Heimatländern unserer Männer flüchten mußten. Wir wissen, durch unsere familiären und freundschaftlichen Kontakte in viele Länder der Welt, daß Ausbeutung, Not, Elend und politische Unterdrückung keine Erfindung angeblicher „Scheinasylanten“ sind.
Die wochenlangen Hetzkampagnen bekannter Boulevardblätter gegen Flüchtlinge, die wochenlangen, entwürdigenden Diskussionen von Politikern, an erster Stelle Vertretern der CDU, über die Abschaffung oder Einschränkung des Art. 16 GG und die nach dem Faschismus einzigartige Pogromstimmung in diesem Land treffen uns unmittelbar.
Wir fühlen uns daher dazu gedrängt, unserem Abscheu Ausdruck zu verleihen über die rassistischen Ausschreitungen, die Menschenleben gekostet haben, die die ausländische Bevölkerung ebenso wie unsere Familien in Angst versetzt und in die Isolation treiben (treiben soll?).
Wir werden dieser Entwicklung weder schweigend noch tatenlos zusehen. Wir sind, ebenso wie die Ausländer und Ausländerinnen, ein Bestandteil dieser Gesellschaft und werden dies auch bleiben. Wir lassen uns nicht einschüchtern und nicht vertreiben.
Wer dem deutschen Volk erzählt, Flüchtlinge aus aller Herren Länder würden hierher kommen, um das Asylrecht zu mißbrauchen, „Scheinasylanten“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ würden dieses Land überschwemmen, das Boot sei voll und so weiter und so fort, der ist mitverantwortlich für die Ereignisse in Saarlouis, Hoyerswerda, Hünxe und unzähligen anderen Orten mehr.
Jeder Mensch, der sich auch nur ein wenig mit der Nord-Süd-Problematik auseinandergesetzt hat, weiß, daß die Verhältnisse so einfach nicht sind. In einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung sind vielmehr reiche Länder wie die Bundesrepublik Mitverursacher von Armut, Unterdrückung, Krieg und damit auch Flüchtlings„strömen“. Diese unbequeme Wahrheit wird der Bevölkerung verschwiegen. Statt dessen wird die Asyldebatte derzeit in einer Form geführt, die jeden Tag neue Menschenleben kosten kann.
Ob das deutsche Volk wirklich gelernt hat, Probleme demokratisch zu lösen, ohne die Suche nach Sündenböcken und letztlich ohne ein Abdriften in ein autoritäres Rechtsregime, wird sich unter anderem an der Frage entscheiden, wie Flüchtlinge und andere ausländische Menschen hier leben können, ob diejenigen zum Beispiel, die hier geboren sind oder seit Jahrzehnten hier leben, nun endlich auch einmal die Möglichkeit bekommen, politische Entscheidungen mitzutreffen oder ob sie weiterhin politisch rechtlose Steuerzahler bleiben, mit denen Politiker herumspielen können, weil sie bei der ausländischen Bevölkerung keine Angst haben müssen, Wählerstimmen zu verlieren.
Wer in der von Ihnen gewählten Form Parteistrukturen dazu benutzt, um Unfrieden in Städten und Gemeinden zu schüren, wer seine Parteigenossen dazu aufruft, die Asylfrage in jedes Stadt- und Landesparlament in der von Ihnen bevorzugten Art hineinzutragen, zündelt in verantwortungsloser Art und Weise auch an der demokratischen Struktur dieser Gesellschaft.
Wer dies tut, ist offensichtlich nicht fähig, die Macht, die ihm qua Amt gegeben ist, verantwortungsvoll und kontrolliert zu gebrauchen. Wir fordern Sie daher auf, der Demokratie in diesem Land einen Gefallen zu tun und zurückzutreten!
Marlies Badjlan, Heike Deul, Anna Hansen, Sabine Kriechhamer-Yagmur, Elke Naumann, Heidemarie Pandey, Dors Pfeiffer-Pandey, Ingrid Rösner, Hiltrud Stöcker-Zafari, Eva Verma c/o „Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen“ (IAF)
Mainzer Landstraße 147
6000 Frankfurt am Main 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen