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DOKUMENTATIONFormlos, fristlos, fruchtlos

■ Der ehemalige Polizeipräsident Klaus Hübner zur Polizeikrise: Personenkonflikte nicht durch Strukturänderungen lösen

Der frühere Polizeipräsident Klaus Hübner hat der Großen Koalition vorgeworfen, die »Sicherheit in Berlin zu gefährden«. Hübner, der von 1970 bis 1987 Polizeipräsident war, sagte, die gegenwärtige Polizeipolitik der CDU und SPD steuere »in eine katastrophale Richtung«. Wir dokumentieren einen Brief Hübners an die Fraktionen von CDU und SPD.

Die Formel für die Bearbeitung von Dienstaufsichtsbeschwerden bestimmt sich nach den drei F: formlos, fristlos, fruchtlos. Einem solchen Schicksal setze ich dieses Schreiben aus. Dennoch bin ich es meinem Gewissen schuldig.

Aus der Koalition höre ich, daß in Zusammenhang mit der Suche nach einem neuen Polizeipräsidenten auch an eine gründliche Änderung der Führungsstruktur der Polizeispitze gedacht wird. Ich möchte in Erinnerung bringen, daß die Polizeireform, 1974 begonnen, von mir als geistiger Prozeß bezeichnet worden ist. Ein Aufbruch zu ständiger Innovation. Bitte lesen Sie die Begründungen zur Reform, die von Ihren Vorgängern akzeptiert und auf hohem fachlichen Niveau erarbeitet worden sind. Der betriebsorganisatorische Teil erhielt seine Impulse von international renommierten Fachleuten außerhalb der Verwaltung.

Sicherheitspolitisch kumuliert der Reformgedanke in der integrierten Führung von Schutz- und Kriminalpolizei bei hoher Mobilität aller Kräfte. Dies präsentiert sich in der Funktion des Landespolizeidirektors, die in zurückliegender Zeit auch aus allen Sparten der Polizei besetzt gewesen ist. Der historische Kardinalfehler, einen Personalkonflikt durch eine Strukturänderung lösen zu wollen, indem diese Funktion durch den Unterbau eines Landesschutzpolizeidirektors und Landeskriminalpolizeidirektors »ausgeschaltet« wurde, muß jetzt im Sinne der Reform korrigiert werden. Das hat keinen Bezug auf amtierende Personen.

Weder braucht Berlin ein autarkes Landeskriminalamt, weil es organisatorisch in der Funktion des Landeskriminaldirektors ausgewiesen war und hervorragend funktioniert, noch darf der in Berlin glücklich überwundenen Bereitschaftspolizei wieder Leben eingehaucht werden. Alles, was die integrative Führung der Exekutive auflöst und die Polizei wieder in seperatistische Dienstsektoren aufspaltet, gefährdet die Sicherheitsleistung für den Bürger unmittelbar.

Die Reform der Polizei hat den Weg nach vorne geöffnet, gehen Sie um keinen Preis historisch zurück. Zerstören Sie auch nicht dilettantisch die feingliedrige Infrastruktur der Lagedienste. »Grün auf die Straße« ohne hochintelligente Lagebeurteilung hieße nur, dem schutzfordernden Bürger Sand in die Augen zu streuen.

Klaus Hübner, Berlin, 18.6.92

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