DISZIPLIN UND SERVICE : Blaubeer oder Möhre
„Blaubeerblaubeerblaubeer“, ruft der Kellner und steuert auf uns zu, den Blick fest auf den Kuchen gerichtet, damit er nicht vom Teller fällt. Er hätte genauso gut „Feuerwehrfeuerwehrfeuerwehr“ rufen können oder wie ein sehr ernsthaftes Kind: „Ausderbaaahn.“ Der Blick, seine Haltung, alles sieht so aus, als sei ihm diese ganze Kuchensituation so wichtig, dass wir fast nicht wagen, ihn in seiner Welt zu stören. Ist ja auch schön, den Kuchen so angekündigt zu bekommen. Fast wie zu Hause, da ist es auch angeraten, sich nicht zu beschweren, wenn es schon mal Kuchen gibt.
Das Problem ist, dass wir gar keinen Blaubeerkuchen bestellt haben. Sondern Möhren-Nuss-Kuchen mit Zuckerkremhaube. (Und der Blaubeerkuchen sieht längst nicht so gut aus wie alles andere in dem Café: Es handelt sich um ein dreieckiges Stück Frischkäse, auf dem oben genau drei Blaubeeren kleben. Sogar der Kellner ist schöner als das, was die hier im Schillerkiez als Blaubeerkuchen verkaufen).
Das sage ich dann auch, nur das mit dem Aussehen und der Anzahl der Blaubeeren lasse ich vorsichtshalber weg. „Dieser schmeckt aber viel besser!“, antwortet der Kellner. Ein Punk, wir hätten es ahnen können, es steht auch auf seinem T-Shirt. Plötzlich sieht er ziemlich gefährlich aus. Aber wer weiß, vielleicht hat er ja recht, immerhin arbeitet der hier. Um uns Ärger und dem Kellner einen versauten Nachmittag zu ersparen, will ich gerade einlenken, gewaltfreie Kommunikation und so, da hat er sich’s überlegt und erklärt: „Nee, du isst jetzt das, was du selbst ausgesucht hast.“
Es klingt wie eine Strafe, erweist sich dann aber als ganz fabelhaft. Eine Konsistenz wie die Erinnerung an einen warmen Herbsttag, die Zuckerkremhaube süß wie ein Kuss. Nur gesungen hat der Kellner leider nicht noch mal. Aber wer singt schon gern „Möhrennussmöhrennussmöhrennuss“? CATARINA VON WEDEMEYER