DIETER BAUMANN über LAUFEN : Läuft Joschka Fischer wieder mit?
Schade, dass es in der Schweiz keine dicken Menschen gibt – dann wäre die Politik dort endlich aufregend
„Alles Gute zum Geburtstag“, steht auf der Karte, ein schlichter Wunsch, und doch ist es keine alltägliche Geburtstagskarte. Sie ist blau, im unteren Drittel der Karte befindet sich ein großes weißes P und in der Mitte ist ein weißer Pfeil, der auf eine ausgestanzte Öffnung zeigt. Darin aufgezeichnet sind Zahlen von eins bis zwölf bzw. von 13 bis 24. Eine Parkscheibe, das war in diesem Jahr meine Geburtstagskarte.
Parkscheiben gibt es noch aus Zeiten, als das Parken für die erste Stunde kostenlos war. Auf einer gezackten Scheibe befinden sich die Stunden-Zahlen. Sie lässt sich drehen und damit können Sie die Uhrzeit angeben, an der Sie Ihr Fahrzeug abgestellt haben. Wer länger steht, muss löhnen. Eine blaue Parkscheibe also, darauf ein Geburtstagsgruß eines Freundes. Das Besondere daran: es handelt sich um eine Schweizer Parkscheibe. Dort widmet man sich auf der Rückseite der Scheiben dem Thema Alkoholkonsum.
Im Auto macht das durchaus Sinn, denke ich, frei nach dem Motto: „don’t drink and drive“. Allerdings ist es mehr eine Art Infoboard, genauer: „Um Ihren Promillewert zu schätzen“, wie es dort steht.
Die erste Info ist die Darstellung einer „Trinkeinheit“. Zur Vereinfachung werden ein Schnaps, 0,1 l Wein oder 0,3 l Bier mit derselben Menge Alkohol gleichgestellt. Des weiteren gibt es auf der Parkscheibe zwei Trinkszenarien: 1. Sie trinken „ohne zu essen, etwa im Viertelstundentakt“ (kurzum, Sie saufen) oder 2. „während einer Mahlzeit, jedes Glas langsam trinkend“ (Sie genießen). Ganz oben auf der Karte wird schließlich durch zwei Kästchen nach Männlein und Weiblein getrennt. Mit Hilfe der gezackten weißen Scheibe stellen Sie also auf der Vorderseite die Uhrzeit ein und auf der Rückseite Ihr jeweiliges Körpergewicht.
So drehte ich also an meiner Geburtstagsparkscheibenkarte und stellte die Anzeige auf 60 Kilo ein. Durch das Drehen erscheinen im unteren eingestanzten Kasten die jeweiligen Promillezahlen bei den unterschiedlichen Szenarien. Kippe ich beispielsweise eine „Trinkeinheit“ – zur Erinnerung: ein Schnaps oder 0,1 l Wein oder 0,3 l Bier – innerhalb einer Viertelstunde, steht dort 0,25 Promille. Trinke ich langsam zum Essen – was bei der Geburtstagsfeier der Fall war –, stehen 0,2 Promille zu Buche. Die Tabelle wird weiter fortgeführt. Trinke ich zum Essen ganz gemütlich zwei Bier (0,3 l) und hinterher zur Verdauung einen Schnaps, bin ich laut Tabelle im roten Bereich, 0,55 Promille.
Deshalb macht die zusätzliche Angabe der Abbauzeiten des Alkoholpegels auf der Parkscheibe durchaus Sinn – leider nur 0,15 Promille in der Stunde. Somit kann sich jeder sehr leicht ausrechnen, ob die auf der Vorderseite angegebene Parkzeit ausreicht, um einem Strafzettel zu entgehen, oder ob ohnehin alles, inklusive Führerschein, verloren ist. Praktisch, diese Parkscheibe, wobei die Schweizer Präzision in diesem Falle ein wenig gelitten hat.
Denn die Abstufungen bei den Körpergewichtsangaben sind bei 10-Kilogramm-Schritten doch ein wenig hoch. Ein 70-Kilo-Mann oder eine 80-Kilo-Frau können laut Angabe zwei Bier und einen Schnaps konsumieren, ohne Angst zu haben, den Führerschein oder wegen zu langer Abbauzeiten und damit zu lange Parkens zumindest einen Strafzettel zu riskieren. Ich drehe weiter und stelle fest, ein 90-Kilo-Mann kann (fast) trinken, was er will, den Grenzwert auf der Scheibe erreicht er nie. Zu meiner Überraschung aber gibt es Menschen über 90 Kilo in der Schweiz laut Parkscheibe überhaupt nicht. Keine 90-Kilo-Menschen – was ein Verlust an Themen in der Schweiz! Keine Gesundheitsdebatten. Kein Kampf gegen Dickleibigkeit. Keine Ernährungsprogramme.
Bei uns ist das anders, ein Politikum. Und die Frage, die uns vor allem seit der NRW-Wahl interessiert, ist: Läuft Joschka Fischer, wie beim letzten Wahlkampf, nun auch zu den Neuwahlen im Herbst wieder mit dem Volk? Schafft er die Wende? Wie lange wird er laufen bei seinen Stopps? In welcher Zeit, welche Strecke? Es wird, zumindest aus Läufersicht, spannend.
Fragen zur Parkzeit? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH