DIE WERBEPAUSE : Rechtsextreme Wanderwessis
Die Musik ist melancholisch, die Szenerie des Videos wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Drehbuch: Papa muss zur Arbeit wegfahren. Während er seinen Koffer zum Auto trägt, steht die Familie winkend auf der Türschwelle des Fachwerkhäuschens, eine Träne kullert langsam über Mamas Wange.
„Nach zwanzig Jahren Einheit, sind wir zu einem Land der Wanderarbeiter geworden“, bilanziert eine Stimme aus dem Off. „In fast jeder Familie in Sachsen-Anhalt gibt es jemanden, der wegen der Familie in den Westen des Landes fahren muss.“ Hat jemand mal ein Taschentuch?
Selten hat die NPD mit so großem Schnieffaktor um die Enttäuschten, Frustrierten und Wütenden geworben wie im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt. Schade nur, dass der jüngste Wahlwerbespot keinen Abspann hat, in dem die Darsteller namentlich und mit Kurzvita gewürdigt werden. Jene in Sachsen-Anhalt, denen es tatsächlich stinkt, montagmorgens zur Arbeit gen Westen pilgern zu müssen, könnten dann feststellen: Die weinende Frau auf der Haustürschwelle heißt Ricarda Riefling – eine rechtsextreme Multifunktionärin aus Coppengrave in Niedersachsen, die für ihre Partei die einsame Ostmutti mimt. Und der gescheitelte junge Mann, der ein paar Szenen später mit heruntergezogenen Mundwinkeln am Provinzbahnsteig steht und auf seinen Zug von Halberstadt nach München wartet, ist Julian Monaco, Jahrgang 1989, der Landesvorsitzende der „Jungen Nationaldemokraten“ in Niedersachsen. Im wirklichen Leben hat er erst vor ein paar Monaten seinen Lebensmittelpunkt aus dem nordwestdeutschen Delmenhorst nach Sachsen-Anhalt verlegt. Seiner Karriere hat es offenbar nicht geschadet: Er unterzeichnet seine Mails jetzt auch als Leiter der NPD-Landesgeschäftsstelle in Halberstadt.
Die eigentliche Botschaft des Jammerwerbespots lautet deshalb wohl: Auch einige traurige Seelen aus der NPD verdingen sich als „Wanderarbeiter“ – sie reisen bloß in die Gegenrichtung. ASTRID GEISLER