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DIE WAHRHEITDuschkopfdämonen regieren

Kolumne
von Susanne Fischer

Neulich lernte ich ausgerechnet auf einem Segelschiff den Begriff „potentielle Fatalutensilien“ kennen.

N eulich lernte ich ausgerechnet auf einem Segelschiff den Begriff „potentielle Fatalutensilien“ kennen. Während ich noch herzlich darüber lachte, erfuhr ich, dass das eine eingeführte Kategorie in der Erzählforschung sei.

Das Messer, das auf Seite 3 des Psychothrillers wie zufällig durch die Tomate saust, könnte später eine Schlagader durchtrennen und das Opfer zu Tode bringen – so etwas ist ein potentielles Fatalutensil. Ein Schiff ohne Reling steckt natürlich voller potentieller Fatalutensilien, die man anderswo Stolperfallen nennt. Das macht mir nichts aus, denn ich kann ja segeln. Also jedenfalls konnte ich das vor 25 Jahren mal. Beinahe.

Seit ich den Begriff kenne, füllt sich meine Welt leider mit den zugehörigen Dingen. Wenn man nicht besonders geschickt ist und zudem nicht an gute Götter, Schutzengel oder positive Schwingungen glaubt, kann jede Treppenstufe zum potentiellen Fatalutensil aufsteigen. Man muss nur daran glauben. Es gab früher schon mal Zeiten, in denen ich keine großen Küchenmesser benutzt habe und immer zwei Meter von der Bahnsteigkante entfernt stand.

Wenn ich Straßen überquerte, verwandelten sich wartende Autos in lauernde Tiere. Ich versuchte, am Gesichtsausdruck der Verkäuferin abzulesen, ob sie meinen Lieblingskuchen heute schon vergiftet hatte oder damit noch bis morgen warten wollte. Damals machte ich allerdings gerade Examen und war auch bereit anzunehmen, dass in meinem Duschkopf ein böser Dämon haust, der mich verbrühen will, damit ich den akademischen Abschluss nicht schaffe. Vor der Prüfung wusste ich, dass ich verrückt wurde, denn ich hörte schon in der U-Bahn, weitab von der Uni, Stimmen, die sich angeregt über meinen Professor unterhielten. Als ich mich umdrehte, waren es lauter Kinder.

Ich floh aus dem Waggon. Dass er ihr Basketballschiedsrichter war, erfuhr ich erst, als ich schon verrückt geworden war. Neulich traf ich ihn übrigens wieder. Wir sprachen über die Hochschulreform, Bologna fatale. Ich: „Das soll ja jetzt ganz schrecklich sein.“ Er: „Sie wären schon längst geflogen.“ Dabei konnte ich eigentlich ganz gut studieren, vor 25 Jahren. Habe es ja auch ziemlich lang gemacht.

Da freue ich mich dann, inzwischen in Frieden gealtert zu sein. Mathematikstunden und Examina muss ich nur noch im Traum ertragen, in dem mir vor kurzem allerdings auch mal wieder das Abitur aberkannt wurden – etwa zum zwanzigsten Mal. Seit es mir nichts mehr ausmacht zu träumen, dass ich einen Vortrag ohne Manuskript halten muss, verlangt mein Traumregisseur, dass ich über ein sinnloses Thema in einer mir unbekannten Fremdsprache referiere. Dann weiß ich wieder mal, wie es sich anfühlt, gleich sterben zu müssen.

Beim Segeln habe ich mich aber diesmal ganz gut durchgeschummelt. Jedenfalls dachte ich das, bis ich eine enthusiastische Mail des Skippers bekam: „Egal, was andere sagen: Du warst eine klasse Besatzung!“ Ich werde wohl den Begriff des potentiellen Fatal-Lobs in mein Leben einführen müssen.

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