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DIE WAHRHEITApokalyptische Räumkommandos

Kolumne
von Frank Schäfer

Wir hatten schon einige Open-Air-Festivals erlebt.

W ir hatten schon einige Open-Air-Festivals erlebt. Irgendeine Plattlandkommune schob in jedem Sommer Treckeranhänger zu einer halben Wagenburg zusammen und engagierte vier bis fünf Stümperformationen, die sich dann auf dem schmalen Pfad zwischen Blues, Blues Rock und Rhythm ’n’ Blues dahinschleppten.

Die selbst gezeichneten und fotokopierten Plakate zeigten den immergleichen Schweinebauern mit Gibson Flying V vorm Bauch und Wolters-Pilsener-Kanne am Hals. Wir wollten die Flying V. Ohne den Landwirt. Irgendwann hatte endlich einer die Führerscheinprüfung bestanden und wir konnten die Rieselfelderfestivals hinter uns lassen.

1988 fuhren wir zum „Monsters of Rock“-Festival ins Bochumer Ruhrstadion. Nur mit viel Glück und Spucke hatte die monströse Show zuvor in Schweinfurt stattfinden können. Denn am Vorabend waren Hunderte bereits angereister Metalheads durch die Innenstadt gezogen und hatten ihrer Vorfreude durch das Einwerfen von Schaufensterscheiben, Abfackeln von Müllcontainern und kleinere Scharmützel mit ein paar Hundertschaften Kontaktbeamter Ausdruck verliehen. Es ging sogar das Gerücht um, es habe Tote gegeben. Das stimmte zwar nicht, aber dennoch: Selten war Heavy Metal gefährlicher.

Die Zeitungen berichteten von „Ausschreitungen stark alkoholisierter, gewaltbereiter Jugendlicher“. Und wir konnten es gar nicht mehr erwarten, nach Bochum zu kommen. Anthrax und Megadeth standen auf dem Plan, zudem Great White, Kiss, David Lee Roth und schließlich als Headliner Iron Maiden.

Für Megadeth spielten dann Testament zu unserer Verwunderung, aber nicht Enttäuschung, denn die Band kann einen gar nicht enttäuschen. Testament kamen über uns wie ein Naturereignis. Ein akustischer Weltuntergang war das mit all der Panik, Verwirrung, dem Chaos, dem Leiden der Kreatur. Und die Menschen standen da wie bei einem heidnischen Gottesdienst, feuerten dieses apokalyptische Räumungskommando noch an.

Amüsiert haben wir uns schließlich auch noch einmal auf der Heimfahrt. Wir wurden von zwei unsagbar traurigen, grandios einsilbigen Autobahnschupos angehalten, die nur unwesentlich älter waren als wir, aber auf die vielen einschlägigen Heckscheibenaufkleber und das Zottelhaar naturgemäß irgendwie reagieren mussten. Mit leblosen Augen und einem von Weltekel angekränkelten Timbre erkundigten sich die beiden, ob unser Fahrer Alkoholika zu sich genommen hatte. Er verneinte, und ich verzichtete diesmal darauf, ihn zu korrigieren.

„Waffen dabei?“, fragte der Wortführer. Wir mussten lachen. „Mal aussteigen!“, sagte er. „Kofferraum öffnen.“ Da lag dann keine abgesägte Schrotflinte, sondern nur eine angefangene Schachtel Ferrero Küsschen. Wir boten den beiden grünuniformierten Gestalten sogar eine Praline an, so herzlich leid taten sie uns. Mit einem Fingerzeig zur Nummernschildplakette und dem lakonischen Hinweis „Bald TÜV!“ ließen sie uns ziehen. Wie gesagt, gefährlicher als in jenen Jahren war Heavy Metal selten.

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1 Kommentar

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  • JK
    Johnny Klaue

    Verdammt, verfluchte Internetkolumnen, die kann man nicht so komfortabel auf dem Klo lesen.

    Das war einige wenige Jahre vor meiner Zeit, leider is diese "Metalheads dürfen keinen schlechten Eindruck machen, denn sonst zieht das die Mucke im Auge der Allgemeinheit gleich mit in den Dreck"-Attitüde inzwischen ziemlich verbreitet, was echt k#*!e ist. Wo bleibt der rebellische Geist, das Ungezähmte, die Wut im Bauch? Und gegen was sollen wir dieser Zeiten noch rebellieren? Wo bleibt die Zombieapokalypse, dann wäre die Geschichte mit dem Feindbildbedürfnis schon mal geklärt, und als Soundtrack dazu gibts für uns doch eh nur eine Wahl. Hauptsache dieser Ausnahmezustand bleibt auf den Festivals erhalten, nieder mit dem Sicherheitswahn!