DIE WAHLERGEBNISSE ZEIGEN DIE UNSICHERE POLITISCHE ZUKUNFT DES IRAK : Die Stunde der Mäßigung
Die irakischen Wahlen haben zwei diametral entgegengesetzte Verlierer hervorgebracht: diejenigen, deren Parteien und deren Wählerschaft erst gar nicht am Volksvotum teilgenommen haben – dies gilt vor allem für die sunnitische Bevölkerung –, und diejenigen, die zwar ehrgeizig mitgemacht haben, aber wegen ihrer allzu engen Assoziation zu den Besatzern und der Regierung in Washington nicht gewählt wurden – vor allem die Partei von Ministerpräsident Ajad Allawi dürfte sich ein besseres Ergebnis ausgerechnet haben.
Das Ergebnis spiegelt die komplizierte politische Zukunft des Landes wider. Die Sunniten suchen weiterhin ihr Heil in militärischen Guerilla-Aktivitäten, mit denen sie mehr zu erreichen glauben, als mit einer Teilnahme am politischen Prozess. Die meisten anderen Menschen glauben zwar, dass nun endlich die Politik übernehmen soll, allerdings in angemessenem Abstand zur Besatzung.
Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich die großen Wahlgewinner, die Schiiten und deren religiöse Parteien, gegenüber den anderen Irakern und der Besatzung verhalten werden. Zwar sind die Schiiten erstmals in der Geschichte des Landes als Bevölkerungsmehrheit auch die politisch dominante Gruppe im Irak. Aber sie dürfen in ihrem Triumph das neue Parlament keinesfalls für ihre Interessen monopolisieren. Sie müssen versuchen, alle anderen Gruppierungen – und vor allem die Sunniten – mit ins politische System einzubinden. Nur dann kann das Land einen Bürgerkrieg vermeiden.
Zum anderen muss das neue Parlament auch endlich unabhängig gegenüber den Besatzern agieren und zeigen, dass es auch Entscheidungen durchsetzen kann, die nicht nach dem Geschmack Washingtons sind. Nur dann kann es eine gesamtirakische Glaubwürdigkeit erhalten.
Eines ist jedenfalls nach der Auszählung der Stimmen sicher: Für US-Präsident Bush sind nun die Zeiten vorbei, in denen der bloße Hinweis auf Schlangen vor den irakischen Wahllokalen ausreicht, um zu zeigen, dass im Irak doch alles nach amerikanischem Plan läuft. KARIM EL-GAWHARY