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Archiv-Artikel

DIE TRENNUNG VON AMT UND MANDAT IST NUR EIN STELLVERTRETERTHEMA Politisch irrelevante Urabstimmung

Es gibt Themen, die können das Publikum nicht mehr interessieren. Dazu gehört die leidige Frage bei den Grünen, ob Amt und Mandat weiterhin zu trennen sind. Denn wie immer die Urabstimmung ausgeht, die seit gestern läuft: An den Realitäten der parteiinternen Macht wird sich nichts ändern. Der informelle Vorsitzende der Grünen heißt Joschka Fischer, obwohl er kein Parteiamt besitzt. Das ist zwar in der Satzung nicht vorgesehen, aber das sagt nur, wie hilflos Satzungen sein können.

Diese Erkenntnis ist auch für die Grünen nicht neu. Längst haben sie „Joschka“ als ihren Parteiführer, ihr Maskottchen und ihren Hauptwerbeträger akzeptiert. Allerdings führte diese Entmachtung der Satzung durch die reale Joschka-Allmacht früher nicht dazu, dass man die Dauerdebatte um die Trennung von Amt und Mandat eingestellt hätte. Im Gegenteil: Man stritt sich leidenschaftlich und genüsslich auf den Parteitagen. Nun jedoch ist plötzlich Ruhe eingekehrt, ganz nüchtern wird die Urabstimmung abgewickelt. Jeder Grüne könnte auch damit leben, wenn sich die Gegenseite durchsetzt.

Die Grünen verabschieden sich damit von einer Stellvertreterdebatte. Es ging schon lange nicht mehr nur um die Satzung, aber sie war oft das einzige Ventil, das der grünen Basis blieb, um ihren Unmut über die Realpolitik zu äußern – über Kriegseinsätze, über den Atomausstieg. Diese Zumutungen waren hinzunehmen, wenn man an der Regierung bleiben wollte. Aber der Frust musste raus. Und dafür eigneten sich Satzungsfragen bestens. Dort konnte man keinen politischen Schaden anrichten – und es genügte bereits die Sperrminorität von einem Drittel, um Änderungen zu verhindern. Bei keinem anderen Thema ließ sich ein so billiger Sieg über die Parteispitze erringen.

Es ist nicht zufällig, dass sich die Grünen gerade jetzt von einer Stellvertreterdebatte verabschieden. Denn die eigentliche Auseinandersetzung ist nicht mehr zu übersehen und hat sich einen eigenen Ort geschaffen: den Sonderparteitag über die Sozialreformen der „Agenda 2010“. Die Entscheidungen dort werden die Grünen tatsächlich prägen – da sind sich Partei und Publikum sogar einig.

ULRIKE HERRMANN