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Archiv-Artikel

DIE STREIKENDEN IN GUADELOUPE SETZEN IHRE FORDERUNGEN DURCH Von der Insel lernen

Dass die Streikbewegung auf der kleinen, weit entfernten und vielfach paternalistisch belächelten Insel Guadeloupe es schaffen könnte, ihre Forderungen für höhere Löhne und gegen das „teure Leben“ durchzusetzen, hätte vor wenigen Wochen kaum jemand in Paris für möglich gehalten: weder an der Spitze des Staates noch in den linken Parteien noch in den Gewerkschaften.

Da hat tatsächlich David gegen Goliath gesiegt. Und das ganz ohne das „Kräfteverhältnis“, das die Franzosen für den Ausgang eines jeden Konfliktes als entscheidend betrachten: Nicht Masse und Gewicht, sondern Einheit war das Mittel für den Kampf der Guadeloupaner. Ihre Streikbewegung war nicht korporatistisch, nicht auf einzelne Branchen und nicht auf wenige Forderungen beschränkt, sondern umfasste das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben auf der Insel. Ob Sozialwohnungen, die Diskriminierung der kreolischen Sprache oder der Lehrermangel – die Ziele des Streiks waren so weit gefasst, dass sich die Mehrheit der Inselbevölkerung damit identifizieren und sie unterstützen konnte. Dagegen war selbst Paris machtlos.

Guadeloupe ist eine Besonderheit. Dort bestimmen Strukturen das Leben, die noch aus der Kolonialzeit stammen: Eine Konzentration von Besitz in wenigen Händen, eine weitgehend von der Metropole abhängige Wirtschaft und eine kulturelle Identitätssuche, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

Nach den erfolgreichen Protesten hat die Insel nun eine Vorbildfunktion: In den anderen französischen Übersee-Départements haben sich schon Nachahmer gefunden. Aber die Breite der guadeloupanischen Bewegung, die Popularität ihrer Forderungen und der Schulterschluss zwischen ihren Gewerkschaften kann auch in der Metropole als Lektion dienen. Eine größere gewerkschaftliche und linke Einheit gegen die Rechte, die in Paris mit absoluten Mehrheiten Parlament, Regierung und den Elysée-Palast beherrscht, würde schon dem nächsten nationalen Streiktag am 18. März eine radikale Wende geben. DOROTHEA HAHN