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Archiv-Artikel

DIE SPD IN SACHSEN JUBELT ÜBER IHRE REGIERUNGSBETEILIGUNG Drohender Absturz ins Nichts

Es fehlte am Sonnabend nicht viel, und die glücklichen Delegierten des SPD-Parteitages in Dresden hätten die Hymne „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ angestimmt. Paradoxerweise beschert ihnen ausgerechnet das mit 9,8 Prozent schlechteste SPD-Landeswahlergebnis aller Zeiten die Regierungsbeteiligung im traditionell dunkelschwarzen Sachsen. Während der zwölfjährigen Biedenkopf-Ära war das eine Utopie geblieben.

Der frühere Landes- und Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Kunckel steht für diese Ironie der Geschichte. Nach der 10,7-Prozent-Niederlage von 1999 wurde er für seinen Schmusekurs abgestraft und trat in diesem Jahr nicht mehr an. Nun saß er plötzlich mit am Tisch der Koalitionsverhandlungen und ist sogar als Wissenschafts- und Kunstminister im Gespräch.

Bis heute scheint die Überraschung der SPD allerdings nicht verdaut, nach der Sitzverteilung im Landtag plötzlich als die einzig akzeptable Braut für eine Vernunftehe mit dem anderen Wahlverlierer CDU dazustehen. So fallen die Zugeständnisse, die die CDU ihr zu geben bereit ist, nicht gerade üppig aus. Bei zentralen Wahlkampfthemen wie der Bildung blieben am Ende nur kosmetische Korrekturen. Die SPD trifft auf einen viermal stärkeren Regierungspartner, der seinen erfolgsverwöhnten Anhängern im Grunde eine Fortsetzung der bisherigen Alleinherrschaft verspricht. Ministerpräsident Milbradt gab schon einen Vorgeschmack: Unverfroren kündigte er einen stärkeren eigenen Durchgriff auf das Wirtschaftsministerium an, das er der SPD zähneknirschend zugestanden hat. In ihrem Jubel scheint die SPD ihr Verschleißrisiko noch gar nicht zu erkennen.

Hinzu kommt die ihr von Milbradt zugedachte Rolle als Prellbock, wenn es um schlechte Nachrichten aus der Bundesregierung geht. Hier könnte die sächsische SPD plötzlich in Loyalitätskonflikte geraten. Schafft sie es nicht, neben, hinter oder gar vor dem breiten Rücken der Union eine erkennbare Figur zu machen, droht ihr in fünf Jahren in Sachsen wegen Unkenntlichkeit ein Absturz ins Nichts. MICHAEL BARTSCH